Vom Geist der Dorsai
sehnsüchtigen Wunsch ihres hohen Alters genarrt, der tröstenden Vorstellung anheimgefallen war, es könne nur ein Mädchen werden.
Ein Junge. Damit war das Problem der Namensgebung völlig nebensächlich geworden.
Für einen Augenblick jedoch empfand sie beinah so etwas wie Selbstmitleid. Warum hatte es kein Mädchen sein können, nach all dem, was sie durchgemacht hatte, nach all den Jahren? Unter günstigeren Umständen, wenn sie noch Zeit genug gehabt hätte, um es aufwachsen sehen zu können, wäre ihr vielleicht die Feststellung möglich gewesen, daß es ein Kind war, das ihren Namen zu tragen verdiente …
Sie rief sich wieder zur Ordnung. Was sollte jetzt noch all dieser Unfug mit Namen? Dorsai hatte gesiegt, seine Unabhängigkeit gewahrt. Das war ihre Belohnung, wie auch die aller anderen – nicht einfach nur die sentimentale Befriedigung, ihren Namen an einen Nachkommen weiterzugeben. Aber Amanda hielt es dennoch für angebracht, Betta über ihre zuvor gefällte Entscheidung zu unterrichten … wenn Ekram die junge Frau doch nur zu ihr bringen lassen würde! Vielleicht kam der Arzt zu dem Schluß, daß sich ihr Zustand dadurch verschlechterte, daß die Aufregung einer solchen Begegnung ihr Sterben beschleunigte und es daher besser war, Betta nicht zu holen. Sie mußte ihm ganz deutlich machen, daß diese Entscheidung nicht ihm oblag. Der letzte Wunsch eines Sterbenden war eine heilige Sache und durfte nicht ignoriert werden. Ekram hatte dieser Tatsache ins Auge zu sehen und sich ihr zu fügen …
„Ekram“, brachte sie mühsam hervor, und ihre Stimme war kaum hörbar. „Ich sterbe …“
„Nur dann, wenn Sie es wollen“, gab Ekram zurück.
Sie sah ihn entgeistert an. Das war schamlos. Das war zuviel. Nach allem, was sie hinter sich hatte … dann tropfte die Bedeutung seiner Worte durch den Kokon aus Unwirklichkeit, in dem sie eingesponnen war.
„Holen Sie Betta hierher! Sofort!“ sagte sie, und ihre Stimme klang beinah scharf.
„Später“, erwiderte Ekram.
„Dann muß ich also zu ihr“, stellte sie grimmig fest.
Sie war nur dazu in der Lage, den auf der Decke liegenden Arm schwach zur Seite zu bewegen, um dadurch anzudeuten, daß sie aufstehen wollte. Doch das genügte.
„Schon gut, schon gut!“ sagte Ekram. „Gedulden Sie sich nur einen Augenblick.“
Sie entspannte sich und fühlte sich auf sonderbare Weise behaglich und zufrieden. Es war alles in Ordnung. Nur das Überleben selbst war wichtig, nicht das Wie. Ein Junge! Beinah hätte sie laut aufgelacht. Nun, solche Dinge passierten, dann und wann. Es konnte ebensogut sein, daß dieser Junge in ein paar Jahren eine Schwester bekam. Und diese Vorstellung war es wert, sich noch ein wenig in Geduld zu üben und zu warten. Natürlich würde sie eines Tages sterben – aber erst dann, wenn es soweit war.
Interludium
Die Stimme der dritten Amanda verklang. In dem stillen Nachmittag in den Bergen war nur das Summen einiger naher Insekten zu vernehmen. Eine leichte Brise wehte heran und legte sich dann wieder.
Das Echo ihrer Worte hallte noch immer in seinen Gedanken wider, und Hal vergegenwärtigte sich noch einmal die Auseinandersetzung, von der sie gesprochen hatte, den Kampf Dorsais um die Unabhängigkeit von Dow deCastries und der Erde. Und er dachte daran, wie sehr er dem ähnelte, der gegenwärtig auf all den Menschenwelten stattfand, jenem Kampf um Freiheit und Unabhängigkeit von den Anderen Männern und Frauen – jenen Hybriden der menschlichen Splitterkulturen, zu denen auch Dorsai selbst gehörte. Der gegenwärtigen Auseinandersetzung, in die sowohl er als auch die dritte Amanda verstrickt waren.
„Was geschah im Innern von Foralie-Heimstatt?“ fragte er. „Im Haus selbst, meine ich … nachdem Arvid Johnson und Bill Athyer mit ihren Männern eingedrungen waren. Was geschah mit Cletus und Dow? Oder konnten die Dorsai das Haus ohne Schwierigkeiten unter ihre Kontrolle bringen?“
„Ganz so einfach war es nun doch nicht“, erwiderte die dritte Amanda. „Denken Sie daran, daß Swahili dort war, und er war einst ein Dorsai. Aber Eachan Khan tötete Swahili, als er sich einen Augenblick lang ablenken ließ, und danach waren Arvid und Bill Herr der Lage. Wie sich herausstellte, besaß Dow eine kleine, im Ärmel versteckte Waffe. Er verwundete Cletus, aber es gelang ihm nicht, ihn umzubringen. Schließlich war es Dow, der als Gefangener zur Erde zurückgebracht wurde.“
„Ich verstehe“, sagte Hal. Doch
Weitere Kostenlose Bücher