Vom Geist der Dorsai
wandte den Kopf ein wenig zur Seite, um sie zu beobachten. Fünf … sechs Gestalten pirschten sich um die Hausecke herum und drangen durch die Tür ins Innere vor. Aus den Augenwinkeln nahm sie auf der anderen Seite eine Bewegung ganz in der Nähe wahr. Sie wandte sich rasch um und sah, wie der Wachtposten den Lauf seines Gewehrs herumschwang, um ihr damit die Ergschleuder aus der Hand zu schlagen. Vor zwanzig oder auch nur zehn Jahren wäre sie in der Lage gewesen, die Waffe rechtzeitig genug zurückzuziehen, doch das Alter hatte ihre Reaktionen zu sehr verlangsamt.
Sie spürte den heftigen Stoß an ihrem Handgelenk, als Metall auf Metall traf und die Ergschleuder fortgewirbelt wurde. Aber sie griff bereits nach dem Futteral mit der Schrotflinte, als der Lauf des Konusgewehrs des Wachtpostens zurückschwang und sich die Mündung auf sie richtete. Die Geschoßgarbe pfiff über ihren geneigten Kopf hinweg, dann senkte sich der Lauf. Sie spürte einen einzelnen, heftigen Schlag im Bereich ihrer linken Schulter, aber dann hatte andererseits die Flinte die leichte Konstruktion des Konusgewehrs beiseite gefegt, und der Wachtposten blickte in die große Mündung der schweren Waffe.
„Fallen lassen“, sagte Amanda.
Ihre eigenen Worte klangen wie aus weiter Ferne an ihre Ohren. Ihr Körper war durchdrungen von einem sonderbaren Gefühl. Der Stoß an ihrer Schulter war so hoch gewesen, daß das einzelne Geschoß, von dem sie getroffen worden war, wahrscheinlich keine tödliche Verletzung hervorgerufen hatte. Doch die Kleinstraketen, die von dieser Waffe abgefeuert wurden, verursachten einen vergleichsweise geringen Auftreffschlag, der kaum Rückschlüsse auf das Ausmaß der Verwundung zuließ.
Das Konusgewehr fiel auf den Boden.
„Und jetzt legen Sie sich hin, mit dem Gesicht nach unten …“ sagte Amanda.
Sie vernahm ihre eigene Stimme noch immer wie ein Echo aus der Ferne, und die Welt um sie herum schien verschwommen und unwirklich. „Nein, außerhalb der Reichweite des Gewehrs …“
Der Soldat gehorchte. Sie betätigte den Fahrtstufenregler ihres Gleiters, ließ ihn aufsteigen und dann langsam und vorsichtig auf den Unterleib des Wachtpostens absinken. Dann schaltete sie den Generator ab und stieg aus. Der Soldat konnte sich nicht mehr rühren, war durch das Gewicht, das auf ihm lastete, an den Boden gefesselt.
„Wenn Sie um Hilfe rufen oder sich zu befreien versuchen, werden Sie erschossen“, warnte sie ihn.
„Ich bleibe still liegen“, antwortete der Wachtposten.
Aus der Richtung des Lagers ertönte das Kreischen und Heulen abgefeuerter Konusgewehre. Sie wandte sich um, aber außerhalb der Gebäude, die sie von hier aus überblicken konnte, war niemand zu sehen. Der Parkplatz für die Fahrzeuge lag jedoch dahinter, von den Baracken abgeschirmt.
Sie beugte sich nieder, um nach der Ergschleuder zu greifen, überlegte es sich dann aber anders. Die Schrotflinte war trotz ihres rostigen Laufs durchaus funktionstüchtig, und so unsicher, wie sie sich nun fühlte, hielt sie es für besser, über eine Waffe mit größerer Reichweite zu verfügen. Schwankend setzte sie sich auf das Lager zu in Bewegung. Jeder Schritt war unglaublich anstrengend, und sie hatte Mühe, das Gleichgewicht zu wahren, so daß sie hin und her taumelte, als sie sich dem Lager näherte. Sie erreichte das erste Gebäude und öffnete die Tür. Ein Lagerraum – leer. Sie ging weiter zu nächsten Baracke und öffnete auch hier die Tür. Die Schwäche in ihr umnebelte ihre Gedanken so sehr, daß sie die üblichen Vorsichtsmaßnahmen außer acht ließ, als sie eintrat. Die abgestandene Luft eines Krankenzimmers stieg ihr in die Nase, als sie über die Schwelle trat. Sie erblickte Tina Alchenso, eine der anderen Frauen. Sie stand mit einem Strahlengewehr in Händen und hielt damit die Männer in den beiden Reihen von Doppelbetten in Schach. Die Soldaten hier waren offenbar ausnahmslos krank oder lagen gar im Sterben. Und die Luft schien dementsprechend durchtränkt zu sein von einem geruchlosen Aroma aus Resignation und Niederlage. Offensichtlich hatte Tina Alchenso jenen, die dazu in der Lage waren, befohlen, ihre Betten zu verlassen. Sie lagen mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden des Mittelgangs, die Arme weit nach vorn ausgestreckt.
„Wo sind die anderen?“ fragte Amanda.
„Sie sind zu den anderen Gebäuden weitergezogen“, antwortete Tina.
Amanda ging wieder hinaus und schritt tiefer ins Lager hinein, wobei sie hier und da
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