Vom Geist der Dorsai
anderen Berichten zugehört hatte. Er zeigte noch immer keine sichtbare Reaktion – außer daß es nun den Anschein hatte, er sei noch mehr in sich selbst zurückgezogen, als das ohnehin schon immer der Fall gewesen war. Seine muskulösen Unterarme ruhten auf der Schreibtischfläche, und die breiten Hände, die er als tödliche Waffen einzusetzen vermochte, lagen offen und ruhig auf den Unterlagen vor ihm. Er wirkte in diesem Augenblick beinahe so, als sei er eher eine Legende als ein gewöhnlicher Mensch. Und nicht nur ich allein hatte diesen Eindruck: Ich hörte, wie Pel hinter mir leise zischend einatmete und in unterdrücktem Zorn mit den Zähnen knirschte. Und ich erinnerte mich daran, wie er davon gesprochen hatte, Ian sei nur Eiswasser, Kensie dagegen Blut.
Auch der weißhaarige Mann in der blauen Robe – der Exote Padma, der so lange als Außenbürge auf Santa Maria weilte, wie situ auch das Expeditionskorps hier aufhielt – musterte Ian eingehend. Als Charley seinen Bericht beendete, meldete sich Padma zu Wort.
„Ian“, sagte er, und sein ruhiger und sanfter Bariton schien sich in die Länge zu ziehen und in den Ohren widerzuhallen, „ich glaube, dies ist eine Angelegenheit, um die sich am besten die hiesigen Behörden kümmern.“
Ian warf ihm einen kurzen Blick zu.
„Nein“, erwiderte er. Er sah Charley an. „Wer ist der Offizier vom Dienst?“
„Ng’kok“, sagte Charley.
Ian betätigte eine Taste des Tischkommunikators vor ihm.
„Verbinden Sie mich mit Oberst Waru Ng’kok vom Lager-Hauptquartier“, sprach er ins Mikrofon.
„,Nein?’“ wiederholte Moro. „Ich verstehe nicht, Kommandeur. Wir können das selbst erledigen. Es ist die Blaue Front, wissen Sie. Es handelt sich dabei um eine verbotene politische Gruppierung, die im Untergrund …“
Ich trat hinter ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter. Er brach ab und drehte sich um.
„Oh, Tom!“ sagte er, und es klang erleichtert. „Ich habe Sie bis jetzt gar nicht bemerkt. Ich bin froh, daß Sie hier sind …“
Ich hob einen Finger an die Lippen. Er war Politiker genug, um zu begreifen, daß es manchmal besser war zu schweigen. Er schwieg nun, und wir richteten unsere Aufmerksamkeit wieder auf Ian.
„… Waru? Hier spricht HQ-Kommandeur Ian Graeme“, meldete sich Ian über den Kommunikator.
„Bereiten Sie unsere vier besten Jagdgruppen für den Einsatz vor. Und umstellen Sie Blauvain mit drei Abteilungen der noch im Dienst befindlichen Truppeneinheiten. Bringen Sie alle Stadtzufahrten unter Ihre Kontrolle. Ohne unsere Genehmigung darf niemand mehr herein oder hinaus. Unterrichten Sie die an dieser Operation teilnehmenden Soldaten davon, daß entsprechende Instruktionen in Kürze folgen.“
Als unabhängige Berufssoldaten nach dem Vorbild der Dorsai-Kontrakte – die die Arbeitgeber auf den Exotischen Welten allen von ihnen bezahlten Söldnern anboten – waren sie berechtigt, Sinn und Zweck eines Einsatzbefehls zu erfahren, den sie von ihrem Oberkommandierenden erhielten. Stimmten neunzig Prozent oder mehr der davon betroffenen Soldaten dagegen, dann konnten sie den Befehl verweigern. Wenn sie sich alle einig waren, konnten sie ihre Offiziere sogar zu einem Unternehmen zwingen, das sie selbst guthießen. Doch eine Abstimmung mit hundertprozentiger Votierung hatte es praktisch noch nie gegeben. Aus dem Lautsprechergitter des Tischkommunikators klang eine Antwort, die ich nicht hören konnte.
„Nein“, entgegnete Ian. „Das ist alles.“
Er schaltete das Gerät ab und beugte sich vor, um eine Schublade seines Schreibtischs zu öffnen. Daraus holte er einen Waffengürtel hervor – er war erdfarben und im Gegensatz zu dem, den Kensie vor der Abfahrt angelegt hatte, tatsächlich für den Kampfeinsatz vorgesehen. Die Waffe steckte bereits im Halfter. Er stand auf und schnallte ihn sich um. Und als er auf den Beinen stand, überragte er uns alle und war nun die dominierende Person in diesem Raum.
„Tom“, sagte er und sah mich an, „alarmieren Sie Ihre Polizeieinheiten; sie sollen möglichst viel herauszufinden versuchen. Und sagen Sie ihnen, sie müssen bereit sein, jedem Befehl zu gehorchen, der ihnen von einem unserer Soldaten erteilt wird – ganz gleich, in welchem Rang er auch stehen mag.“
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Befugnis besitze, ihnen eine solche Anweisung zu erteilen“, gab ich zurück.
„Ich habe Ihnen diese Befugnis gerade übertragen“, entgegnete er ruhig. „Blauvain steht ab
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