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Vom Himmel das Helle

Vom Himmel das Helle

Titel: Vom Himmel das Helle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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marionettenhafte Daseinsform, die wir als ›wirklich‹ bezeichnen, obwohl sie es nicht ist. Ich verglich es für mich mit dem Leben, das der Fernseher uns vorgaukelte. Wenn man nur lange genug vor dem Kasten saß, glaubte man tatsächlich, in die Geschichte auf der Mattscheibe verwoben zu sein. Man wurde zur Figur auf dem Bildschirm. Ja, das war möglich, das hatte ich oft genug selbst erlebt.
    Ich schlug alle Bücher zu, die inzwischen auf meinem Bett wie aufgefächert um mich herum lagen, stapelte sie unterm Bett und stand auf.
    »Duschen, Lea!«, beschwor ich mich. Jetzt half nur noch kaltes Wasser und später, irgendwann, wenn ich ihn überhaupt noch mal in meine Nähe bekam, ein klärendes Gespräch mit Mark. Er war der Einzige, den ich über die Verrücktheiten, die ich in den Büchern gelesen hatte befragen konnte.

    Im Bad traf ich auf meinen Vater. Ein Mann frühmorgens im Bad einer Frau meines Alters bedeutete gewöhnlich etwas anderes, wesentlich Entspannenderes als das, was ich zu sehen bekam. Mein Vater hockte in der Dusche und kümmerte sich um seinen Unterbodenschutz.
    Ich kicherte. Ich schwöre, ich konnte nicht anders, als ich seine gegrätschten Beine, die faltig sehnige Haut darüber und sein verbissen-korrektes Gesicht über all dem sah.
    »Hast du deine Manieren auf den Müll geworfen oder siehst du schlecht? Ich bin im Bad und will meine Ruhe haben«, grantelte er in der Manier eines alten Einsiedlers.
    Ich blickte mich um und sah seine Teilprothese auf dem Waschbeckenrand liegen neben der Armatur. Ein seltsames Gebilde mit drei modellierten Zähnen, falschem Zahnfleisch und goldenen Klemmen daran. Brücken oder sogar Zahnersatz, das war mir bis jetzt, Gott sei Dank, erspart geblieben.
    Auf der anderen Seite des Beckens stand sein fix und fertig gemixter Haardrink, wie ich die Mischung aus warmem Wasser und Apfelessig nannte. Das Mittel gegen Haarausfall. Wahlweise griff er auf eine Spülung mit warmem Bier zurück, was ebenfalls gute Ergebnisse auf einem spärlich von Haaren besuchten Kopf bringen sollte. Danach kam nicht nur früher, sondern anscheinend auch heute noch, das Eincremen sämtlicher Muttermale und Hautunebenheiten mit selbst angesetzter Ringelblumensalbe dran. Eine Prozedur, die ihn in ein speckiges Schweinchen verwandelte. Man hätte auf ihm ausrutschen können, auf Mister Bohnerwachs – wie ich ihn als Kind genannt hatte, als ich von seinem seltsamen Körperpflegeritual erfahren hatte. Den Höhepunkt bildete, wie ich unschwer an dem Becher unterm Spiegel erkannte und roch, die zwischen die Zehen zu steckenden Wattepads. Tunken in Eigenurin soll gegen Fußpilz helfen, den mein Vater sich in einer schwachen Stunde eingehandelt hatte, als er ein öffentliches Schwimmbad betreten hatte und sogar ins Wasser gegangen war. Papa schwor Stein und Bein, wie eine Frau nur auf ihre Lieblingsschuhe geschworen hätte oder auf ihre Lieblingsfreundin, dass täglich fünf Minuten zwischen die Zehen gesteckte Urinpads dem Pilz keine Wahl ließen. Er musste das Weite suchen, wie ich in dem Moment auch.
    Ich nickte nur und sah mir Papa, in seiner unendlichen Verschrobenheit, von der er nichts mitbekam oder zumindest so tat, ein letztes Mal an. Wie er in seinem seltsam karierten Schlafanzugoberteil, der roten Nase im Gesicht, den noch vom Schlaf verquollenen Augen und dem Rest Zahnpasta am noch unrasierten Kinn dahockte. Als ich mir das vollständig vergegenwärtigt hatte, ging ich an die ungeduldige Entsorgung dieses Bildes.
    Wie unendlich gütig war das Leben, bedachte ich plötzlich im Flur stehend. Man konnte vieles ausblenden und einfach so tun, als hätte man es nie gesehen, als gäbe es nur das, was man wahrhaben wollte. Ich ging in die Küche und vergaß augenblicklich falsche Zähne, faltige Haut und Urinpads und strahlte, weil die Sonne den Poker gegen die Wolken endgültig für sich entschieden hatte. Für mich der Deal schlechthin.

Neunzehn

    Ich hatte mich in meine Lieblingsjeans und einen Pullover geworfen und schmierte mir ein Brot als es klingelte. Als ich öffnete, stand Frank breitbeinig wie ein Sheriff vor mir. Er reichte mir den Rest einer stinkenden Zigarette zur Entsorgung, oft genug seine Art zu frühstücken, und kam unaufgefordert herein.
    »Seit wann kommst du nach Hause?«, wunderte ich mich und leckte mir den Rest Butter von den Fingern. »Zu Leuten, mit denen du arbeitest?«, fügte ich korrekterweise hinzu. In den zehn Jahren unserer Zusammenarbeit hatte ich Frank

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