Vom Himmel das Helle
könnte.« Meine Hand lag nach einer kurzen Pause, während der Mark den Wein gekostet hatte, wieder in seiner. Man konnte die Wärme, die sich zwischen uns aufgebaut hatte, mit Händen greifen.
»Hey, vergiss meinen Vater nicht«, fiel mir ein. Ich spürte, wie Falten auf meiner Stirn wuchsen. Falten des Zorns.
»Die Idee, dass er dir in die Quere kommen könnte, entsteht nur in deinem Kopf. Wenn du ihn vor die Tür setzt, war’s das für ihn. Du willst nur vor dir selbst gut dastehen und tust es doch nicht.« Ich zog meine Hand aus Marks umsorgendem Griff, denn sein Satz traf ins Schwarze. Er hatte Recht. Ich wollte gut dastehen. Vor allem vor mir. Ich wollte das Klischee der guten Tochter erfüllen, die sich um den alten Vater kümmerte. Auch, wenn der ein Arschloch war. »Sag ihm, du wirst großzügig sein und er wird es entweder ebenfalls versuchen, denn Liebe ist ansteckend, oder er gibt auf, packt seine Sachen und zieht von dannen.« Mark hatte Nerven. Glaubte er etwa an das, was er sagte? »Mein Vater würde nie von selbst das Feld räumen«, warf ich skeptisch ein.
Mark streichelte mir über den Kopf. Eine plötzliche, sanfte Geste. Seine Hände waren Werkzeuge, die gut präpariert waren. Finger um Finger legten sich auf mein Haar und schenkten mir Wohlbehagen. »Das Leben sorgt sich um sich selbst, Lea. Warte nur ab und gib dein Bestes. Das reicht völlig«, forderte er mich auf. Er winkte nach dem Ober und rief: »Zahlen.« Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Geister an etwas Profanes wie Geld dachten. Deshalb fragte ich, ob ich die Rechnung begleichen solle. Mark lachte nur und zog eine Kreditkarte aus der Hose. Dann wickelte er die Rechnung ab, reichte mir seine Hand und gemeinsam gingen wir hinaus, auf die Straße.
Da standen wir nun. »Und jetzt?«, wollte ich wissen. Ich spürte, wie sich die Härchen auf meinen Armen aufstellten. »Suchen wir uns ein nettes Hotel und finden heraus, ob wir Sex miteinander haben wollen. Glaub mir, danach geht es uns besser.« Ich schnappte ein weiteres Mal nach Luft, während Mark still in sich hinein lächelte. »Ich weiß, Lea, das klingt wie eine Erzählung, die von der bereits existierenden Zukunft handelt. Doch nichts steht fest. Wir haben bei allem die Wahl.«
»Ich bin immer davon ausgegangen, dass die körperliche Liebe nichts ist, womit du zu tun hast«, sagte ich geradeheraus. Meine Beine zitterten. »Welch einem Irrtum bist du nur aufgesessen«, erwiderte Mark und verpasste meiner Nase einen zärtlichen Stups.
Das Hotel war klein und gediegen und wenige Gehminuten von der Oper entfernt. Mark hatte nicht lange überlegt und mich zielsicher dorthin gebracht. Mir war der Ziegelbau mit dem verführerischen Namen Little paradise in town noch nie aufgefallen, obwohl ich schon oft daran vorbeigefahren sein musste.
Der Besitzer war gebürtiger Engländer, der der Liebe wegen nach Deutschland übersiedelt war und jetzt mit seiner Frau Betsy das Boutique Hotel führte. Die Zimmer trugen keine Zahlen, sondern jeweils einen Spruch auf der Tür. Unserer lautete: Glück ist Beieinandersein . Der erste Eindruck des Hotels war mehr als zufriedenstellend. Das Zimmer, das Mark gebucht hatte, war mit einem imponierenden Holzbett, einer hellen Polstergarnitur und einem Tisch ausgestattet, auf dem Margeriten in einer Vase willkommen hießen. »Wie nett«, stellte ich fest. Doch obwohl alles einladend wirkte, war ich nervös und wusste kaum, was ich mit meinen Füßen und Händen anfangen sollte. Es war das erste Mal, dass ich mit Mark in einer entspannten Umgebung allein war.
Wir standen einen Moment wie zwei Fremde im Zimmer und taten nichts. Beide verlegen. Mir blieb keine Zeit, um Höflichkeiten auszutauschen, denn plötzlich fuhr Mark mir auf eine unerwartet zupackende Art durchs Haar. Ich spürte seine Finger fest auf meiner Kopfhaut. Langsam kroch die Leidenschaft in meinen Körper und erkämpfte sich ihr Recht. Ich ließ sachte meinen Kopf sinken und begrub ihn für Momente in Marks Händen. Er hatte die Augen geschlossen, als könne er mich nur so richtig wahrnehmen. Ich sah seine Lieder zucken, bevor ich meine schloss. »Lea, Lea«, hörte ich ihn flüstern. Mit weicher, rührender Stimme.
Der letzte Zweifel, was ich hier tat und wo das hinführen sollte, wich aus meinem Körper und ich öffnete mich wie eine Blume, die nach einem langen Winter die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings erspürte. Ich wollte lieben und geliebt werden. Ich wollte es so sehr.
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