Vom Himmel hoch
Haus.
Christoph kletterte über Werkzeugkisten, Rohrleitungen
und Kabelreste und fand in einem Raum, in dem ein altes Kofferradio lautstark
dröhnte, die Maler.
Er sprach den Mann an, von dem er annahm, dass es der
Jugendfreund Geerdsens sei.
»Sind Sie Volkert Dreesen?«
Der Mann hatte lange Haare, die strähnig wirkten und
mit Farbklecksen durchsetzt waren. Beidseitig zierten große Ringe die
Ohrläppchen. Die hochgeschobenen Ärmel zeigten kräftige Unterarme, die mit
Tattoos übersät waren.
Der Malergeselle hörte sich Christophs Wunsch an, rief
seinem Meister zu, er würde gleich wieder zurück sein, und setzte sich etwas
abseits des Hauses auf einen Bretterstapel.
»Sie kennen Daniel Geerdsen?«, begann Christoph.
Dreesen nickte.
»Gut?«
Erneutes Nicken.
»Sie sind seit frühester Kindheit bis heute mit ihm
befreundet?«
Dreesen bewegte das dritte Mal den Kopf kurz auf und
ab.
»Kennen Sie auch Ellen Heckert?«
Wieder beschränkte sich die Antwort auf die bekannte langsame Kopfbewegung.
»Können Sie auch etwas anderes als nicken?«, wollte
Christoph wissen.
Der Maler grinste breit und … nickte.
Dann begann er aber doch zu erzählen: »Klar! Auf die
isser stolz wie ‘n Pfau. Wenn die man bloß mal einer anguckt, dann schwillt den
Daniel gleich der Kamm.«
»Das heißt, er ist eifersüchtig?«
Der junge Mann lachte heftig auf. »Eifersüchtig? Das
is gar nichts gegen das, was Daniel is. Wenn man bloß mal den Fehler tun tut un
bein Tanzen aus Versehn mit Ellen auffe Fläche will, dann gibt’s gleich Zoff.«
»Ist es dabei schon zu Handgreiflichkeiten gekommen?«
»Du meinst, ob Daniel sich gekloppt hat? Wegen
Ellen?«, fragte der Jugendfreund nach.
Jetzt nickte Christoph.
Dreesen überlegte kurz.
»Nee! Soweit ich weiß, nich. Die Kumpels hab’n ja alle
‘nen bisschen was mehr an Muckis als Daniel. Der als Beamten kann da nich
mithalt’n. Da isser dann vorsichtig. ‘ne große Klappe und laut bellen tut er
schon, aber mit’n Beißen hat er’s doch nich so. Dazu is sein Muul zu stumpf.
Wenn du weißt, was ich mein tu?«, schob er nach.
Christoph hatte ihn verstanden. »Kennen Sie Axel
Fricke?«, fragte er weiter.
»Nee. Nie was von gehört. Wer is ‘n das?«
Christoph ließ die Antwort offen, bedankte sich und
fuhr nach Husum zurück.
*
Während Christoph an diesem Vormittag auf Nordstrand
unterwegs war, rief Große Jäger in der Praxis von Dr. Hinrichsen an und fragte,
ob dieser etwas über den Selbstmordversuch von Doris Landwehr wüsste.
Der Arzt gab ihm ziemlich barsch zu verstehen, dass er
ihm trotz seiner Zusammenarbeit mit der Polizei unter keinen Umständen
irgendwelche Auskünfte erteilen würde, abgesehen davon, dass die Frau nicht zu
seinen Patienten gehörte.
»Grüßen Sie Ihren Kollegen von mir«, hatte Hinrichsens
Sprechstundenhilfe dem Oberkommissar noch in die Hörmuschel geflötet, bevor sie
das Gespräch zum Doktor durchgestellt hatte.
»Wie soll ich das verstehen?«, wollte Große Jäger
wissen und hatte dabei das Bild der hoch gewachsenen rothaarigen Frau mit den
grünen Augen vor sich.
»Vielleicht gehen Sie einmal mit mir essen?«, hakte er
nach, aber Anna Bergmann hatte nur mit einem leichten Glucksen in der Stimme
geantwortet, dass sie verhindert sei.
Der Oberkommissar saß an seinem Schreibtisch und
überlegte. Wie immer in solchen Situationen angelte er nach seiner zerdrückten
Zigarettenschachtel, fingerte ein zerknautschtes Exemplar hervor und steckte es
sich an.
Wie konnte er an nähere Informationen über Doris
Landwehrs Selbstmordversuch kommen?
Einen Arzt oder ein Krankenhaus, die bereit wären,
Auskünfte zu erteilen, konnte er sicher nicht ausfindig machen.
Dann kam ihm eine Idee. Er rief Anders Sørensen an, zu
dem er seit ihrer gemeinsamen Exkursion ins Nachbarland einen guten Draht zu
haben glaubte.
»Können Sie frei reden?«, wollte er wissen.
Sein Gesprächspartner verhielt sich ausgesprochen
geschickt am Telefon, verstand sofort, was Große Jäger von ihm wissen wollte,
und stimmte zu, sich mit dem Oberkommissar in einem Café in der Stadt zu
treffen.
Eine Stunde später saßen sie sich im gemütlichen Café
in Bredstedts Einkaufsstraße gegenüber.
Der blonde Däne rührte in seinem Kaffee. Er schien
etwas zerstreut zu sein und füllte bereits das dritte Mal Zucker in seine
Tasse.
»Ich weiß nicht, ob ich nicht einen Vertrauensbruch
begehe«, wand er sich in Selbstzweifel. »Das ist schließlich ein
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