Vom Himmel hoch
Freiheiten in der
Anonymität von Flensburg auslebte, war auch nachvollziehbar.
Mommsen sah Schwarz am Tresen stehen und mit einem
Mann sprechen, der fast so aussah, als würde er, als heldenhafter Seemann
verkleidet, eine Karnevalsveranstaltung aufsuchen wollen.
Jetzt trat ein Dritter hinzu, gab beiden die Hand,
klopfte Schwarz vertraulich auf die Schulter und mischte sich in das Gespräch
ein.
Mommsen hatte an einem Tisch Platz genommen. Kurz
darauf erschien ein künstlich erblondeter Möchtegernjüngling und fragte nach
seinem Getränkewunsch. Auf dem Rückweg hinter den Tresen warf er der kleinen
Gruppe um Schwarz eine kurze Bemerkung zu, worauf alle drei in Mommsens
Richtung blickten, sich dann aber wieder in ihr Gespräch vertieften.
Es war gut, dass Schwarz bei dem Verhör im
»Friesischen Metallbau« nicht da gewesen war und Mommsen somit nicht kannte.
Nach einer Weile löste sich der als Letzter
hinzugekommene Mann und steuerte Mommsens Tisch an.
»Hi«, grüßte er lässig. Aus der Nähe bemerkte Mommsen
unter seinem Studio-Teint die ersten Falten. Der Mann gab sich jünger, als er
tatsächlich war. Dazu trug auch die braun gefärbte Dauerwelle bei.
»Ich bin Dirk«, näselte er und nahm ungefragt am Tisch
Platz.
»Hi«, erwiderte Mommsen.
»Du bist neu hier?«, wollte der Mann wissen.
»Ich wollte mich einmal umsehen.«
Dirk musterte den hoch gewachsenen sportlichen
Polizisten.
»Interessant«, gab er das Ergebnis seiner Prüfung
bekannt. »Und wie heißt du?«
Da Mommsen im Moment nichts Besseres einfiel,
antwortete er schnell: »Christoph.«
»Hi, Chris«, begrüßte ihn sein Gegenüber. »Du bist
doch nicht in der Erwartung hereingekommen, hier ein flottes Girl aufreißen zu
können?«
Jetzt musste Mommsen lachen. »Nein! Sehe ich so naiv
aus?«
Nun lachte auch Dirk. »Das freut mich aber. Hast du
heute schon etwas Bestimmtes vor? Noch einen Termin bei der Großmutter?«
Mommsen schmunzelte, bevor er antwortete.
»Oma besuche ich immer am Sonntag. Gleich nach der
Kirche.«
»Fein«, stellte Dirk fest.
Der Polizist sah zum Tresen hinüber, bemühte sich,
seinem Blick einen träumerischen Ausdruck zu verleihen.
»Wer ist denn der nette Bursche mit der scharfen
Lederhose?«, fragte er.
Dirk musste nicht hinsehen. Um diese Zeit war noch
nicht allzu viel Betrieb im Lokal.
»Das ist Volki«, flötete er.
»Ist der öfter hier?«
»Kommt darauf an. Immer wenn ich mir wünsche, dass er
anwesend sein möge, erfüllt sich mein Wunsch nicht«, stöhnte Dirk über die
Ungerechtigkeit dieser Welt.
»Daraus entnehme ich aber, dass das hier sein
Stammlokal ist.«
»So viele Alternativen hat unsereiner ja nicht«, gab
Dirk zu bedenken. »Warum fragst du?«
Mommsen hüstelte ein wenig verlegen. »Ich glaubte,
Volki – wie du sagst – schon einmal gesehen zu haben. Das war am letzen
Dienstag. Nach Feierabend.«
Das war der Tag, an dem Banzer vom Himmel gefallen
war.
Dirk überlegte kurz. Dann zog ein Strahlen über sein
Gesicht.
»Das kann nicht sein«, sagte er mit Bestimmtheit. »Da
war Volki mein Gast. Ach, ich darf gar nicht daran denken. War das … na ja,
gemütlich.«
Mommsen sah sein Gegenüber an, in dessen Augen ein
verzücktes Leuchten getreten war.
»Ich bin mir aber ziemlich sicher«, versuchte er Dirk
aus dem Konzept zu bringen.
Doch der blieb dabei. »Nein! Nein! Wir haben erst hier
ein wenig gefeiert und das Ganze dann bei mir fortgesetzt. Wir waren schon
vorher in allerbester Stimmung, sind aber relativ früh – so gegen
zweiundzwanzig Uhr – in meine Burg abgewandert. Louis war auch dabei«, er zeigte
auf den als Seemann verkleideten Mann, der immer noch mit Schwarz am Tresen
stand.
»Ich habe eine tolle Wohnung, so richtig etwas für
Genießer«, schwärmte Dirk. »Die muss ich dir unbedingt mal zeigen.«
Mommsen sah auf die Uhr. »Das klingt gut«, meinte er, »aber
ich muss jetzt leider gehen.«
Dirk war sichtlich enttäuscht. »Kommst du auch
wirklich wieder?« In seine Stimme hatte er einen Hauch Sehnsucht gelegt.
»Mal sehen«, wich Mommsen aus.
Das waren interessante Neuigkeiten, dachte er, als er
auf der Rückfahrt noch einmal die neuen Erkenntnisse rekapitulierte.
Aus verständlichen Gründen hatte Volker Schwarz
verschwiegen, wie er seine Freizeit zubringt. Er hatte, ohne um die
Hintergründe zu wissen, lieber behauptet, den fraglichen Abend allein in seiner
Wohnung verbracht zu haben, während er ein wasserdichtes Alibi für die Tatzeit
vorweisen
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