Vom Kämpfen und vom Schreiben
ein grüner Sessel, den Autoren aus Nordrhein-Westfalen an einem Ort ihrer Wahl aufstellen lassen dürfen, und in dem sie aus ihren Werken vorlesen sollen. Ich wähle die Kirche des Dorfes, in dem ich aufgewachsen bin.
Der Pastor ist sofort damit einverstanden, dass seine Kirche zur Lesebühne wird. »Das ist für uns gute Werbung«, sagt er.
Redakteur, Kameramann und Tontechniker sind mit einem VW-Bulli angekommen, parken direkt vor dem Kirchenportal und laden zuerst einen grünen Ohrensessel aus. Dann dauert es fast eine Stunde, bis sie Sessel, Kamera und Mikrofon im Altarraum platziert haben. Ich lese zwanzig Minuten. Vor jeder Geschichte muss ich »kurz anmoderieren«. Dann wird der Sessel in eine neue Position gebracht, Licht und Ton entsprechend neu aufgebaut. Weil für dieses Format nicht verschiedene Szenen an verschiedenen Schauplätzen gedreht werden müssen, ist die Sendung, fünfundvierzig Minuten lang, nach nur einem Drehtag im Kasten. Ich bekomme hundert Euro in bar und muss unterschreiben, dass jetzt und in Zukunft alle Rechte für die Reportage beim Sender liegen und dass mit dem Hunderter alle Ansprüche bedient wurden. Das kenne ich ja schon.
Die Lesung wird später etwa fünfzig Mal wiederholt. Nachts um halb drei. Nach ein paar Monaten treffe ich eine Bekannte, sie arbeitet in einer Kneipe und kommt oft erst spät nachts nach Hause. »Mensch, ich hab dich gestern schon wieder im Fernsehen gesehen. Arbeitest du da immer noch? Und immer nachts?« Ich unterdrücke ein Lachen.
Ich bin bekannt wie ein bunter Hund und arm wie eine Kirchenmaus. Das Kinderbuch beim WD-Verlag liegt brach, der Ratgeber läuft einigermaßen, aber der Satireband verkauft sich nach Aussage von Kamilla Jansen gar nicht gut. Also wieder kämpfen, kämpfen, kämpfen: Ich weiß, dass ich unbedeutend bin, dass die Konkurrenz riesig ist und dass ich mir was einfallen lassen muss, um Leser für meine Bücher zu gewinnen.
Hardy und ich hecken etliche Ideen aus. Wir konzipieren ein »Satirisches Menü«. Ich stelle mir vor, dass ich in Restaurants lesen kann, dass es dort mehrere Gänge gibt, und dass ich jeweils zwischen den Gängen eine Satire vorlese. Wir drucken das Konzept aus, und Hardy schreibt, spricht und ruft etwa hundert Restaurants und Hotels an. Viele finden die Idee gut. Zwei engagieren mich. Keine dieser Lesungen kommt zustande, weil im Vorverkauf kaum Karten weggingen. Ich bin zu unbekannt, habe keinen zugkräftigen Namen. Aber woher soll der kommen, wenn mich keiner engagiert?
Ich gewinne den Bürgermeister als Schirmherrn für die »Kleine Literatur-Tour«. Alle drei Monate lade ich einen Autor ein, den ich aus meinem Netzwerk kenne. Sie sollen Abwechslung ins literarische Kleinstadtleben bringen, den Namen unserer Stadt in die Welt hinaus tragen – und sich hoffentlich irgendwann bei mir revanchieren.
Die Stadt und das Städtische Begegnungszentrum übernehmen das Autorenhonorar von hundertfünfzig Mark, ich organisiere alles andere. Ich kümmere mich um Presse und Werbung, stelle unser Gästebett und Essen und Trinken zur Verfügung, suche Autoren aus, lade sie ein.
Der großartige Titus Müller ist noch unbekannt und liest aus seinem unveröffentlichten Erstling. Er begeistert meine Söhne, als er auf der Matratze im Kinderzimmer schläft und mit ihnen bis spät nachts plaudert. Monika Felten kommt mit ihrem frisch erschienenen Roman »Elfenfeuer« ins Begegnungszentrum, und Stephan Peters aus Düsseldorf liest Horrorstories. Dieter Baumgart reist aus Frankreich an, nachdem ich ihm gleich drei Schullesungen organisiert habe. Der einzige, der sich später mit einer Lesung in Berlin revanchiert, ist Titus Müller, bei allen anderen kommt mein Netzwerkgedanke offenbar nicht an.
Zeitgleich veranstalte ich Wohnzimmer-Lesungen bei uns zu Hause: Zweimal im Jahr lade ich unbekannte Autoren ein, übernehme Kost und Logis, Werbung und Presse. Jedes Mal versende ich dreißig Briefe, das Porto zahle ich. Als Eintritt zur Lesung muss jeder einen Salat oder eine Flasche Wein mitbringen. Das funktioniert prima!
Der Kurdirektor samt Gattin, Buchhändler, Zeitungsredakteure, Kommissare, ein bekannter Maler und andere Lokalprominente folgen meiner Einladung. Wir erleben wunderbare Abende, lauschen neuen Texten, haben feine Büffets und edle Getränke. Marek Bela Steffens aus Polen kommt mit seiner Frau Krystyna, er vermittelt mich später zu einer Lesung nach Wolfsburg, Kamilla Jansen stellt ihren eigenen Roman vor, und
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