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Vom Kämpfen und vom Schreiben

Vom Kämpfen und vom Schreiben

Titel: Vom Kämpfen und vom Schreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Berling
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Krankenhaus habe ich Zeit zum Nachdenken, zum ersten Mal seit vielen Jahren. Hardy ist wieder arbeitslos und kümmert sich um die Kinder, so kann ich in Ruhe krank sein.
    Der Satz von Udo Scheel, der bitterböse Mails schreibt, die ich nicht beantworten kann, kraftlos wie ich bin, geht mir immer wieder durch den Kopf: Was bin ich für ein Mensch? Wer bin ich? Wohin will ich?
    Durch die Krankheit falle ich als Verdiener immer wieder aus, und der Aufenthalt in Bochum ist der traurige Gipfel: Wir rutschen wieder in die Sozialhilfe ab. Sogar das Tagegeld im Krankenhaus muss das Amt bezahlen, wir sind mittellos. Im Krankenhaus erkenne ich plötzlich das Signal meiner Krankheit: Ich fühle mich nicht wohl in meiner Haut.
    Aber was nutzt mir diese Erkenntnis?
    Das Schreiben, nachts, wenn alle schlafen und ich nur das Ticken der Uhr höre, hält meine Seele zusammen. Ich schreibe Gedichte, Erzählungen, Märchen, Betroffenheitslyrik und endlose Therapietexte.
    Ich beginne einen Roman mit dem Arbeitstitel »Der siebte Seitensprung«. Die Idee: Es soll um eine Frau gehen, die sich mit Männern aus dem Internet verabredet und sich dadurch in komische, gefährliche und erotische Situationen bringt.
    Durch meinen Verdienstausfall können wir das Auto nicht mehr halten, wir müssen den alten Citroën stilllegen, verkaufen können wir ihn nicht, denn wir haben kein Geld für eine Zeitungsanzeige.
    Ohne Auto kann ich kaum noch arbeiten, meine Termine werden immer weniger, mein eigener Anteil zum Lebensunterhalt schrumpft und wird nun durch ergänzende Sozialhilfe aufgestockt. Jeden Monat lege ich dem Sozialamt meine Honorarabrechnungen vor, außerdem meine Verlagsverträge. Dass man Bücher schreibt und veröffentlicht und dafür kein Geld bekommt, erstaunt den Sachbearbeiter, er glaubt mir nicht und behandelt mich entsprechend, obwohl ich es mit den Verträgen beweisen kann.
    Dass ich »die Frau aus dem Fernsehen« bin, die Frau, die bei der Zeitung arbeitet und Bücher schreibt und dennoch jeden Monat beim Amt sitzt, ist so erniedrigend, dass ich es kaum aushalte.
    Mein Kinderbuch wird im Juni 2002 im Rahmen einer Ausstellung in Wolfsburg zum zweihundertsten Geburtstag von Hans Christian Andersen und Wilhelm Hauff als Beispiel für neue Märchen präsentiert. Die Original-Illustrationen der Schüler werden dort gezeigt, und ich lese vor großem Publikum.
    Es gibt ein großzügiges Honorar, eine bezahlte Anreise und zum ersten Mal wird mir die Übernachtung in einem guten Hotel bezahlt. Ich spüre am Abend, wie einsam man in einem Hotelzimmer ist. Zuerst die Aufregung, das Lampenfieber vor der Lesung, währenddessen Adrenalin und Endorphine bis zur Halskrause, danach Euphorie und Glück beim Händeschütteln und Signieren.
    Und im Zimmer ist es dann totenstill, das Alleinsein tut mir in den Ohren weh.
    Am Tag danach fahre ich weiter nach Berlin. Zusammen mit Titus Müller und Till Burgwächter bin ich zu einer Lesung in die Brotfabrik am Prenzlauer Berg eingeladen. Dafür gibt es leider kein Geld, aber eine Lesung in der Hauptstadt macht sich gut in meiner Biografie.
    Die Bahnfahrt nach Berlin bezahle ich von meinem Wolfsburger Verdienst, übernachten kann ich bei Titus auf dem Gästesofa. Er ist ein zauberhafter Gastgeber und bewirtet mich fürstlich, obwohl er ein armer Student ist. Er hat sogar Nutella gekauft, was sich, so verrät er mir schmunzelnd, unter seinen Kommilitonen schnell herumgesprochen hat.
    Als wir am nächsten Tag am Lesungsort erscheinen, ahne ich es schon: Keiner will uns zuhören. Wir warten eine halbe Stunde, dann kommen zwei Zuschauer. Sie sind wegen Till da, der schenkt jedem ein Buch und wir trinken ein Bier zusammen.
    Ich hake die Lesung unter »Erfahrung« ab.
    Als ich zurück bin, müssen wir noch einmal umziehen, schon wieder, näher in die Stadt, damit ich zu Fuß zur Redaktion gehen und meine Reporter-Termine mit dem Fahrrad erledigen kann. Zum ersten August haben wir den Mietvertrag für eine neue Wohnung unterschrieben. Mitten in den Umzugsvorbereitungen, am ersten Juli, fahre ich zur Kur nach Norderney. Hardy und die Kinder müssen alleine packen, renovieren, schleppen.
    Meine Hautkrankheit ist so schlimm, dass ich am ganzen Körper blutende, offene Stellen habe und nachts nicht mehr schlafen kann, weil ich mich stundenlang kratze.
    Ab dem ersten Juli mache ich drei Wochen gar nichts, außer mich um mich selbst zu kümmern. Ich lese kein Buch, ich schreibe keine Zeile. Ich absolviere meine

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