Vom Kämpfen und vom Schreiben
wird.
Mein Geld kommt mit drei Wochen Verspätung. Um nicht hungern zu müssen, verkaufe ich bei E-Bay einen Teil meiner Klamotten. Im nächsten Monat warte ich wieder.
Das kann ich mir nicht leisten. Nach drei Wochen vergeblichen Wartens muss ich das Praktikum im zweiten Monat beenden, denn wenn das Arbeitsamt mir Geld abzieht, das mir vertraglich zugesichert wurde, aber real nicht kommt, muss ich verhungern.
Ich bewerbe mich auf alle möglichen Jobs, die ich mir zutraue: Aushilfe auf dem Wochenmarkt, im Großmarkt, Reinigungskraft im Phantasialand, Verkäuferin im Lottoladen, bei Tchibo und in diversen Kaufhäusern, Kellnerin, Putzfrau, Aushilfe für ich-weiß-nicht-was. Ich beteilige mich an unzähligen Ausschreibungen für Autorenstipendien und an allen Schreibwettbewerben, die mit einem Geldpreis dotiert sind.
Die Internetseite von Sandra Uschtrin und das Autorenforum Montségur werden meine virtuelle Heimat. Dort finde ich alle Informationen, die im Literaturbetrieb wichtig sind. Ich schreibe Gedichte und Krimis, Essays und Satiren, die auf die Anforderungen der Ausschreibungen passen. Fest glaube ich daran, eines Tages einen Literaturpreis zu bekommen, der mit ein paar Tausend Euro dotiert ist: einmal ein Jahr lang ein sorgenfreies Leben.
Sonntags gehe ich durch die Stadt und schaue in den Auslagen der Schaufenster, wo Mitarbeiter gesucht werden. Oft komme ich mit einer langen Liste mit Adressen und Telefonnummern nach Hause, die ich gewissenhaft abarbeite. Manchmal werde ich zu einem Gespräch eingeladen. In jedem dieser Gespräche höre ich früher oder später: »Sie haben Bücher geschrieben? Als Journalistin gearbeitet? Beim Fernsehen? Und jetzt wollen Sie bei uns …?«
Ich bin überqualifiziert. Aber ich bin doch auch erst Mitte vierzig, will ich dann immer sagen, es kann doch nicht sein, dass ich nie wieder einen Job bekomme? Werde ich für immer in diesem dunklen Wohnklo hausen müssen? Ist das meine Endstation?
Vom Arbeitsamt kommt kein einziges Stellenangebot.
Ich bin mürbe, müde, ausgebrannt und ohne Hoffnung. Immer öfter denke ich darüber nach, wie ich das Elend beenden soll, kann mich aber nicht entscheiden zwischen Pulsadern, Tabletten, Brücke und Hochhaus.
Ich erkenne, dass ich dringend Hilfe brauche, suche mir einen Therapeuten und habe großes Glück, sofort an den richtigen zu geraten.
Akutes Burnout-Syndrom, diagnostiziert er, und eine mittelschwere Depression. Die Krankheit ist nicht innerhalb kurzer Zeit entstanden, also kann sie auch nicht innerhalb kurzer Zeit geheilt werden. Drei Jahre wird es dauern, bis ich mir zutraue, wieder alleine zurechtzukommen.
Jeden Mittwoch gehe ich zur Therapie. Dort lerne ich nicht nur eine Menge über mein Verhalten, über gewisse Muster, die mich viele Fehler immer wieder machen ließen, sondern ich schaffe es auch, mir nach dreißig Jahren das Rauchen abzugewöhnen.
Am 10. Oktober 2004 rauche ich meine letzte Zigarette. Ich rauche sie bewusst, langsam und inhaliere bis zum Anschlag. Dann drücke ich sie aus, werfe Aschenbecher, Streichhölzer, Feuerzeuge und die letzte Packung, in der noch zwölf Zigaretten drin sind, in den Müll. Damit ich sie nicht wieder herausholen kann, wenn ich Schmacht kriegen sollte, kippe ich ein Glas Wasser in den Mülleimer. Danach werde ich nie wieder eine Zigarette anfassen und erkennen, dass die Befreiung von dieser Sucht einer der wichtigsten Schritte auf dem Weg in mein neues Leben war.
Ich schreibe und schreibe und schreibe, manchmal acht Stunden am Tag. Danach bin ich oft so erschöpft, als hätte ich Steine geschleppt. Nicht ein einziges Mal in den Jahren meiner Arbeitslosigkeit schlafe ich länger als bis halb acht. Selten gehe ich nach Mitternacht ins Bett. Es ist überlebenswichtig, dass ich einen Arbeitsrhythmus und einen geregelten Tagesablauf habe. Auf diese Art und Weise werde ich mehr als drei Jahre an »Der siebte Seitensprung« arbeiten. Niemals hinterfrage ich, warum ich schreibe, und erst recht nicht, warum ich ausgerechnet das schreibe, was ich schreibe. Ich treibe meine Selbstdisziplinierung so weit, dass ich mich nie an den Computer setze, bevor ich geduscht, geschminkt und angezogen bin. Ich programmiere mich so, als ginge ich um halb neun zur Arbeit, und zur Arbeit geht schließlich kein Mensch im Pyjama und mit ungeputzten Zähnen.
Inzwischen habe ich den Mann kennengelernt, den ich später heiraten werde. Martin wohnt in Köln, wir sehen uns an jedem zweiten Wochenende, wenn
Weitere Kostenlose Bücher