Vom Kämpfen und vom Schreiben
Pfändungsund Überweisungsbeschluss von dem Wohnungsvermieter, bei dem Hardy und ich zwei Monatsmieten im Rückstand sind. Der Vermieter hat mich im Fernsehen gesehen, glaubt, dass ich jetzt reich sei, und versucht, beim Sender zu pfänden. Jetzt bin ich erst recht froh, dass aus der Fernsehkarriere nichts wird, denn wenn ich beim Sender engagiert worden wäre und es hätte direkt jemand gepfändet, wäre ich sowieso wieder draußen gewesen.
Stattdessen erhalte ich im Mai 2004 ein Engagement anderer Art, ein Praktikum in einer Filmproduktionsfirma, die zwei Standbeine hat: Sie drehen Reportagebeiträge fürs Fernsehen und produzieren Imagefilme für mittelständische Unternehmen.
Man sichert mir einen Praktikantenvertrag für sechs Monate und sechshundert Euro im Monat zu. Ich melde Praktikum und Verdienst dem Arbeitsamt und bin glücklich und stolz, dass ich aus eigener Kraft Wege aus der Arbeitslosigkeit finde.
Der Job ist interessant: Zum Beispiel begleite ich einen bekannten WDR-Moderator auf seiner Reise nach Holland in ein Nonnenkloster. Die Frauen dort haben ein Schweigegelübde abgelegt, das sie für diese Sendung unterbrechen. Der Moderator ist großartig, stellt seine Fragen sensibel und klug, er ist kompetent und souverän.
Ein anderes Mal bin ich mit dem Kamerateam beim Dreh eines Comedian dabei. Der trägt eine Bundeswehruniform und brüllt ziemlich unhöflich rum. Es gibt Leute, die finden das lustig, ich gehöre nicht dazu. Sobald keine Kamera läuft, ist der Comedian freundlich und leise.
Einen Tag verbringe ich mit dem Chef der Firma auf einem Golfplatz. Der Chef und eine andere Praktikantin spielen Golf, und ich gucke zu. Der Chef wirkt wie ein alter Dackel, gutmütig und träge. Seine Frau ist ein Biest: Wer den Raum verlässt, in dem sie sich aufhält, über den lästert sie, sobald die Tür sich hinter ihm geschlossen hat. Sie lacht den Leuten katzenfreundlich ins Gesicht und spielt jeden gegen jeden aus. Außerdem ist sie täglich verkatert, raucht Kette, und so sieht sie auch aus: geräuchert, hager, verhärmt und solariengebräunt.
Die meiste Zeit arbeite ich an den Texten für einen Film über eine bundesweite Sportveranstaltung. Ich muss Informationen über die einzelnen Etappen zu Moderationstexten verarbeiten. Ich kann das gar nicht, habe keine Ahnung, wie man Bilder mit Worten unterlegt, die dann von einem Sprecher vertont werden sollen, aber niemand hat Zeit, mir etwas zu erklären. Als ich improvisiere, sieht sich keiner das Ergebnis an, und ich habe das Gefühl, dass die mich nur irgendwie beschäftigen wollen.
Am Ersten, also nach vier Wochen, warte ich auf mein Geld. Das Arbeitsamt hat mir die avisierten sechshundert Euro natürlich sofort abgezogen, aber die Filmfirma hat noch nicht überwiesen. Ich gerate mit Miete, Strom- und Telefonrechnung in Verzug. Die Biest-Chefin sieht mich kalt an, zuckt die Achseln und meint, sie hätte mir gleich gesagt, dass die Firma zurzeit schlecht dasteht und es durchaus sein kann, dass Gelder mal später kommen.
Am Nachmittag nimmt der Chef mich in seinem nagelneuen Mercedes-Jeep mit. Ich könnte kotzen. Von dem Geld, das er für eine Tankfüllung dieses Autos braucht, könnte ich meine Miete bezahlen. Alle Mitarbeiter warten auf ihr Geld. Wie dreist muss man sein, um seine Leute nicht zu bezahlen und sie dann im neuen Auto mitzunehmen?
Wir drehen einen Imagefilm in einer Anwaltskanzlei. Der Chef hat gestern gesoffen. Es geht ihm nicht gut. Zurzeit gibt es fast jede Woche ein Konzert am Museumsplatz, Bob Dylan kommt, Eros Ramazotti auch. Der Chef und seine Frau sind immer dabei, wegen ihrer VIP-Karten und der Freigetränke. Der Chef ist so verkatert, dass er beim Betreten der ehrwürdigen Kanzlei zu mir sagt: »Mach du mal, du willst ja was lernen.«
Ach du Scheiße. Ich kriege es hin, tue so, als sei ich schon ewig beim Fernsehen und hätte dementsprechende Dreherfahrung. Es klappt. Ich hab ein paar brauchbare Ideen, improvisiere einen Drehplan und notiere Regieanweisungen. Die Firma ist später zufrieden.
Zuerst wundere ich mich, dass außer den Praktikanten so viele ältere Auszubildende in dieser Firma arbeiten. Dann erfahre ich, dass sie alle etwas anderes gelernt haben und alle lange arbeitslos waren. Wer ältere Langzeitarbeitslose als Auszubildende einstellt, bekommt fast die ganze Vergütung von Arbeitsamt erstattet. Daher weht der Wind. Kostenlose Arbeitskräfte. Ich höre von der Sekretärin, dass kein Lehrling übernommen
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