Vom Kämpfen und vom Schreiben
meine Kinder nicht bei mir sind. Am Anfang bin ich nur froh, nicht mehr alleine zu sein, Liebe ist es erst auf den zweiten oder dritten Blick.
Martin kann meine Stimmungsschwankungen aushalten und versteht, warum ich noch nicht möchte, dass meine Jungs wissen, dass es ihn gibt.
Zusammenbrüche erleide ich weiterhin. Nach einem von ihnen sagt Martin, ich solle Jagger zu mir nehmen, den Hund, der bei Hardy und den Kindern geblieben ist. Die drei haben sowieso kaum Zeit für ihn.
»Das geht nicht! Ich kann ihn hier nicht halten. Ich habe nur diese winzige Wohnung, da sind keine Tiere erlaubt.«
»Lass es darauf ankommen«, sagt Martin.
»Und was wird aus dem Hund, wenn ich wieder Arbeit kriege?«
»Das kannst du entscheiden, wenn es so weit ist«, sagt er.
Ich habe noch ein paar Argumente, die er aber alle nicht gelten lässt. Schließlich hole ich den Hund zu mir. Meine Söhne und Hardy sind erleichtert, dass sie ihn abgeben können.
Fortan hat mein Tag noch ein weiteres Geländer, eine bessere Struktur. Jagger ist ein Jagdhund, der viel Auslauf braucht. Jetzt habe ich nicht nur weitere feste Punkte im Tagesablauf, den er mir durch seine Gassi-Runden vorgibt, ich bin auch nie mehr alleine.
Drei bis sechs Stunden, jeden Tag, bin ich mit ihm draußen unterwegs. Ich erkunde die ganze Stadt, marschiere oft zwölf Kilometer, bei jedem Wetter. Die frische Luft tut mir gut, ich plaudere mit anderen Hundehaltern, und während der langen Märsche komme ich auf andere Gedanken.
Die Geschichte meines Romans »Der siebte Seitensprung« läuft in eine ganz andere Richtung, als ich im Internet zufällig eine Frau kennenlerne, die in der Sado-Maso-Szene aktiv ist. Ich beginne mich für diese Welt nebenan zu interessieren und recherchiere.
Ich suche mir ein Pseudonym. Als ich noch bei der Zeitung gearbeitet habe, war Benjamin Blümchens »Karla Kolumna, die rasende Reporterin« mein Spitzname. Im Internet rufe ich das Telefonbuch von New York auf, probiere verschiedene Nachnamen hinter »Carla«, und bleibe bei Berling hängen: Daraus entsteht nun der Name Carla Berling.
Dieses Pseudonym verwende ich, um mich von nun an bewusst in einschlägigen Internetforen herumzutreiben, und dann, um mir SM-Stammtische und SM-Partys anzusehen. Oft fühle ich mich wie damals mit sechzehn, als ich nachts, wenn meine Eltern schliefen, mit Hilfe meiner Geschwister aus dem Kellerfenster stieg, um heimlich in die Disco zu gehen. Es dauert lange, bis ich sofort auf den Namen »Carla« höre und dabei nicht das Gefühl habe, eine Hochstaplerin zu sein, die unter falschem Namen agiert.
Und ich staune, was es alles gibt. Ich treffe Menschen, die mir erotische Dinge erzählen, deren Existenz ich nie für möglich gehalten hätte. Ich bekomme ihre Tagebücher zu lesen, führe intime Gespräche.
Alles, was ich in den Jahren bei der Zeitung über Interview- und Gesprächsführung gelernt habe, kann ich jetzt gut gebrauchen. Einige meiner Gesprächspartner erlauben mir sogar, Teile ihrer Auskünfte in meinem Buch zu verwenden. Ich bin Ende vierzig und muss schmunzeln, weil ich bisher dachte, ich hätte von allen erotischen Präferenzen wenigstens schon einmal etwas gehört.
Zum ersten Mal gelingt es mir, fremde Realität in Fiktion zu verwandeln. Ich erfinde eine Hauptfigur, schreibe ihr eine ausführliche Biografie, gebe ihr ein soziales Umfeld, ordne ihr meine Recherchen zu und übersetze alles in eine Geschichte.
Die Grundidee von »Der siebte Seitensprung« bleibt erhalten, aber die Romanhandlung ist eine ganz andere als zu Beginn. Anfang 2007 ist das Buch fertig, vierhundert Seiten, ein richtiger Roman, mit einer spannenden Handlung und einem dramatischen Ende, und ich bin tagelang außer mir vor Glück, weil ich glaube, es geschafft zu haben.
Die Geschichte handelt von der Buchhändlerin Simone, deren wohlgeordnetes Leben durch einen falschen Klick im Internet aus den Fugen gerät. In einem Erotik-Chat trifft sie einen Mann, der sie in die ihr unbekannte SM-Welt entführt. In lustvollen Fantasien erlebt sie, was sie im Alltag verabscheut: Unterdrückung, Demütigung und Schmerz. Da sie verheiratet ist, dürfen diese Träume niemals Realität werden. Es soll nur ein Spiel sein, Abwechslung vom täglichen Einerlei. Doch ihre guten Vorsätze verschwinden, als sie im Netz dem attraktiven, dominanten Boris begegnet. Sie verbringt eine erregende Nacht mit ihm, die sie verwirrt zurücklässt.
Anstatt mich an Verlage zu wenden, will ich das
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