Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vom Kriege

Vom Kriege

Titel: Vom Kriege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl von Clausewitz
Vom Netzwerk:
gegeben; aber wo eine solche Wirkung auch nicht zu erwarten ist, bleibt es schon ein Gegenstand von hinreichender Wichtigkeit, durch diese Widerstandsart ein Machtverhältnis herbeizuführen, welches den Sieg möglich macht, und durch diesen Sieg wie durch einen ersten Stoß eine Bewegung zu veranlassen, die sich dann in ihren verderblichen Wirkungen nach den Gesetzen des Falles zu vergrößern pflegt.
Sechsundzwanzigstes Kapitel: Volksbewaffnung
    Der Volkskrieg ist im kultivierten Europa eine Erscheinung des neunzehnten Jahrhunderts. Er hat seine Anhänger und seine Widersacher, die letztern entweder aus politischen Gründen, weil sie ihn für ein revolutionäres Mittel, einen für gesetzlich erklärten Zustand der Anarchie halten, der der gesellschaftlichen Ordnung nach innen ebenso gefährlich sei wie dem Feinde nach außen, oder aus militärischen Gründen, weil sie glauben, der Erfolg entspräche nicht der aufgewendeten Kraft. Der erste Punkt berührt uns hier gar nicht, denn wir betrachten den Volkskrieg bloß als Kampfmittel, also in seiner Beziehung auf den Feind; der letzte Punkt aber führt uns zu der Bemerkung, daß der Volkskrieg im allgemeinen als eine Folge des Durchbruches anzusehen ist, den das kriegerische Element in unserer Zeit durch seine alte künstliche Umwallung gemacht hat; als eine Erweiterung und Verstärkung des ganzen Gärungsprozesses, den wir Krieg nennen. Das Requisitionssystem, die Anschwellung der Heere zu ungeheurn Massen vermittelst desselben und der allgemeinen Dienstpflicht, der Gebrauch der Landwehren sind alles Dinge, die, wenn man vom ehemaligen engbegrenzten Militärsystem ausgeht, in derselben Richtung liegen, und in dieser Richtung liegt nun auch der Aufruf des Landsturms oder die Volksbewaffnung. Sind die ersten dieser neuen Hilfsmittel eine natürliche und notwendige Folge weggeworfener Schranken, und haben sie die Kraft dessen, der sich ihrer zuerst bedient hat, so gewaltig gesteigert, daß der andere mit fortgerissen worden ist und sie auch hat ergreifen müssen, so wird beides auch der Fall mit dem Volkskriege sein. In der Allgemeinheit der Fälle würde dasjenige Volk, welches sich desselben mit Verstand bediente, ein [474] verhältnismäßiges Übergewicht über diejenigen bekommen, die ihn verschmähen. Ist dem also, so kann nur die Frage sein, ob diese neue Verstärkung des kriegerischen Elements der Menschheit überhaupt heilsam ist oder nicht; eine Frage, die sich wohl ganz so beantworten dürfte wie die Frage über den Krieg selbst - wir überlassen beide den Philosophen. Aber man könnte auch meinen, die Kräfte, welche der Volkskrieg kostet, könnten auf andere Streitmittel verwendet, mit mehr Erfolg benutzt werden; es gehört indessen keine große Untersuchung dazu, um sich zu überzeugen, daß diese Kräfte größtenteils nicht disponible sind und sich nicht nach Willkür verwenden lassen. Ein wesentlicher Teil derselben, nämlich die moralischen Elemente, erhalten sogar erst durch diese Art des Gebrauchs ihr Dasein.
    Wir fragen also nicht mehr: was kostet der Widerstand, den ein ganzes Volk mit den Waffen in der Hand leistet, diesem Volke? Sondern wir fragen: welchen Einfluß kann dieser Widerstand haben, welches sind seine Bedingungen und wie ist der Gebrauch desselben?
    Daß ein so verteilter Widerstand nicht zu der in Zeit und Raum konzentrierten Wirkung großer Schläge geeignet ist, geht aus der Natur der Sache hervor. Seine Wirkung richtet sich, wie in der physischen Natur der Verdampfungsprozeß, nach der Oberfläche. Je größer diese ist und der Kontakt, in welchem sie mit dem feindlichen Heere sich befindet, also je mehr dieses sich ausbreitet, um so größer ist die Wirkung der Volksbewaffnung. Sie zerstört wie eine still fortschwelende Glut die Grundfesten des feindlichen Heeres. Da sie zu ihren Erfolgen Zeit braucht, so entsteht, während beide Elemente so aufeinander wirken, ein Zustand der Spannung, die sich entweder nach und nach löst, wenn der Volkskrieg an einzelnen Stellen erstickt wird und an andern langsam erlischt, oder die zu einer Krise führt, wenn die Flammen dieses allgemeinen Brandes über das feindliche Heer zusammenschlagen und es nötigen, das Land vor eigenem gänzlichen Untergange zu räumen. Daß diese Krisis durch den bloßen Volkskrieg herbeigeführt werden sollte, setzt entweder eine solche Oberfläche des eingenommenen Reichs voraus, wie außer Rußland kein europäischer Staat sie hat, oder ein Mißverhältnis

Weitere Kostenlose Bücher