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Vom Kriege

Vom Kriege

Titel: Vom Kriege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl von Clausewitz
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wird
    Ob und auf welche Art es Kriege geben könne, in welchen keiner von beiden Teilen der angreifende ist, also keiner etwas Positives will, werden wir im letzten Buche näher in Betrachtung ziehen, hier haben wir nicht nötig, uns mit diesem Widerspruch zu beschäftigen, da wir für ein einzelnes Kriegstheater die Gründe zu einer solchen doppelseitigen Verteidigung füglich in den Verhältnissen, welche diese Teile zum Ganzen haben, voraussetzen können.
    Aber nicht bloß solche Feldzüge werden ohne den Brennpunkt einer notwendigen Entscheidung sein, sondern es gibt auch, wenn wir uns an die Geschichte halten, eine Menge von Feldzügen, wo es nicht an einem Angreifenden, also nicht an einem positiven Wollen von der einen Seite fehlt, wo aber dieses Wollen so schwach ist, daß es nicht mehr um jeden Preis sein Ziel verfolgt und notwendig eine Entscheidung herbeiführt, sondern wo der Angreifende keine anderen Vorteile sucht, als die sich ihm aus den Umständen ergeben wollen. Er verfolgt hier entweder gar kein bestimmtes, selbstgestecktes Ziel und erntet nur die Früchte, die sich ihm in dem Verlauf der Zeit darbieten, oder er hat zwar ein Ziel, macht es aber von günstigen Umständen abhängig.
    Obgleich ein solcher Angriff, der von der strengen logischen Notwendigkeit eines Vorschreitens gegen das Ziel losläßt und fast wie ein Müßling den Feldzug durchschlendert, um sich rechts und links nach einer wohlfeilen Gelegenheitsfrucht umzusehen, sehr wenig von der Verteidigung selbst verschieden ist, die ja ihrem Feldherrn auch verstattet, solche Früchte zu brechen: so wollen wir doch die nähere philosophische Betrachtung dieser Kriegführung bis auf das Buch vom Angriff verschieben und uns hier nur an die Folgerung halten, daß in einem solchen Feldzug weder vom Angreifenden noch vom Verteidiger alles auf die Entscheidung bezogen werden kann, daß diese also nicht mehr den Schlußstein des Gewölbes abgibt, nach dem alle Linien der strategischen Überbogung hingerichtet werden können.
    Feldzüge dieser Art sind nun, wenn man die Kriegsgeschichte aller Zeiten und Länder im Auge hat, nicht nur die Mehrzahl überhaupt, sondern eine solche Mehrzahl, daß die andern wie Ausnahmen von der Regel erscheinen. Wenn nun auch in der Folge dies Verhältnis sich ändern sollte, so ist doch gewiß, daß es immer eine große Zahl solcher Feldzüge geben wird, und daß wir also bei der Lehre von der Verteidigung eines Kriegstheaters auf diese Seite derselben Rücksicht nehmen müssen. Wir werden versuchen, die [499] Eigentümlichkeiten anzugeben, welche sich an den äußersten Grenzen dieser Seite zeigen. Der wirkliche Fall des Krieges wird meistens zwischen die beiden verschiedenen Richtungen fallen, bald der einen, bald der andern näher liegen, und wir können daher die praktische Wirksamkeit dieser Eigentümlichkeiten nur in der Modifizierung sehen, welche durch ihre Gegenwirkung in der absoluten Form des Krieges hervorgebracht wird. Wir haben schon im dritten Kapitel dieses Buches gesagt, daß das Abwarten einer der größten Vorteile ist, den die Verteidigung vor dem Angriff voraus hat; es geschieht überhaupt im Leben selten, aber am allerwenigsten im Kriege alles, was nach den Umständen geschehen sollte. Die Unvollkommenheit der menschlichen Einsicht, die Scheu vor einem übeln Ausgang, die Zufälle, von welchen die Entwicklung der Handlung berührt wird, machen, daß von allen durch die Umstände gebotenen Handlungen immer eine Menge nicht zur Ausführung kommen. Im Kriege, wo die Unvollkommenheit des Wissens, die Gefahr der Katastrophe, die Menge der Zufälle unvergleichlich viel größer sind als in jeder anderen menschlichen Tätigkeit, muß deshalb auch die Zahl der Versäumnisse, wenn wir es so nennen wollen, notwendig viel größer sein. Dies ist nun das reiche Feld, auf dem die Verteidigung Früchte erntet, die ihr von selbst zuwachsen. Verbinden wir mit dieser Erfahrung die selbständige Wichtigkeit, welche die Bodenfläche im Kriegführen hat, so ergibt sich die auch im Kampf des Friedens, nämlich im Rechtsstreit, geheiligte Maxime: beati sunt possidentes; und diese Maxime ist es, welche hier an die Stelle der Entscheidung tritt, die in allen auf gegenseitiges Niederwerfen gerichteten Kriegen den Brennpunkt der ganzen Bahn ausmacht. Sie ist von außerordentlicher Fruchtbarkeit, freilich nicht an Handlungen, die sie hervorruft, aber an Aufschlüssen und Motiven für das Nichthandeln und für alles dasjenige

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