Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)
reichlich mit Hundebildern
verziert. Wenn die Adresse stimmte, war dies das Haus von Jan Linde. Das ›bescheidene
Heim‹, von dem er gesprochen hatte? Auf dem gusseisernen Eingangstor hockten zwei
Metalladler mit ausgebreiteten Flügeln. Sehr interessant. Obwohl nicht ganz mein
Geschmack. Gewöhnlich dekoriere ich meine Eingangstür nicht, die angeklebten Zettel
meines Vermieters reichen mir vollkommen. Bewundernswert war auch die Klingel, eine
indische Göttin mit vielen Händen und zwei Brüsten als Klingelknöpfe. Ich versuchte
mein Glück mit der linken Brust. Volltreffer, es läutete schrill. In der Ferne schlugen
Hunde wütend an, Lämpchen blitzten irgendwo über meinem Kopf auf. Ein leises, durchdringendes
Summen einer Kamera vervollständigte das Begrüßungsritual. Meine Ankunft blieb nicht
unbeachtet. Charmant lächelte ich in Richtung der Kamera und wartete. Nichts passierte.
Dann drückte ich auf die rechte Brust der Göttin, lächelte noch liebreizender und
rief: »Ich bin’s, Valeska!«
Abermals
das Summen und Bellen, ich grinste in die Kameralinse bis zum Kiefermuskelkrampf.
Das Tor blieb verschlossen. Auf dem goldenen Schild neben der Klingel war kein Name
eingraviert. Nichts rührte sich hinter dem schmucken Toreingang. Ob Jan überhaupt
hier wohnte?
Vor meinem
inneren Auge sah ich Kurts spöttisches Gesicht, wenn er fragte: »Nanu, eine Blitzvisite
oder keiner da?«
Zum Auto
wollte ich deshalb nicht gleich zurückgehen und unternahm einen Spaziergang an der
Mauer entlang. Langsam schlenderte ich die Straße hinauf, vor einem weiteren großzügigen
Anwesen blieb ich stehen. Über eine niedrige Mauer betrachtete ich neugierig das
dahinterliegende Gelände. Rings ums Haus wand sich eine Holzterrasse, im kniehohen
Gras weideten zwei Kühe. Träge, fast reglos standen sie in der prallen Sonne, und
erst nach langem Betrachten sah ich, dass sie aus Plastik waren. Sie strahlten eine
so tiefe Zufriedenheit aus, dass ich Jans verschlossene Villa vergaß. Bis die hysterische
Hausherrin dieses Anwesens ihren kleinen hysterischen Hund auf mich hetzte mit den
Worten: »Django, schnapp den Dieb!« Der gehorsame Hund besprang so lange die Gitterstäbe
des Zaunes, bis er mit seinem Kopf dazwischen geriet und feststeckte. Sein Bellen
wurde leiser, seine Herrin wurde umso lauter und keifte noch wütender als ihr Berufskläffer.
Mit einer obszönen Geste zeigte ich ihr meine Missbilligung und verschwand in Windeseile
aus ihrem Gesichtsfeld. Auf meinem weiteren Rundgang durch das Viertel lernte ich
noch viel über Hunderassen, die sich als Wachhunde eignen. Reich an neuem Wissen
kehrte ich zum Auto zurück.
Kurt sah
mich fragend an. »Und?«
»Nette Gegend«,
sagte ich. »Viele Hundeliebhaber.«
»Wolltest
du nicht gerade deinen alten … Freund besuchen?«
»Ja, doch.
Was schaust du so neugierig? Ich muss dir keinen Bericht darüber erstatten, oder?
Und wo ist Ben?«
»Im Auto.«
»Na also,
dann können wir weiterfahren.«
Jetzt setzte
ich mich ans Steuer. Wir rollten die steile Privatstraße hinunter und fuhren wieder
die Landstraße entlang. Eine Kurve nach der anderen. Gänse und Hühner flüchteten
zur Seite. Kühe wichen keinen Zentimeter von der Straße. Auch nicht der betrunkene
Fahrradfahrer, der fantasievoll versuchte, die Spur zu halten, bis ich ihn zu einer
Ernüchterungspause in den Straßengraben zwang. Nur auf das Auto, das aus einem versteckten
Feldweg direkt auf uns zugeschossen kam, war ich nicht vorbereitet. Ich riss das
Lenkrad nach links, und – oh Wunder! – das andere Auto sauste an uns vorbei. Dann
hörte ich lautes Krachen, und die Fahrt war zu Ende. Hinter mir jaulte Ben auf.
»Die Stoßstange
meines Autos sitzt an einem Baum fest. Einem Apfelbaum«, sagte Kurt vorwurfsvoll
nach geraumer Zeit.
»Wäre dir
eine Dattelpalme lieber?«
»Das ist
nicht witzig, es geht um meine Autoversicherung.«
»Und um
deine Lebensversicherung. Welch gute Nachricht für sie: Die Auszahlung ist noch
nicht fällig.«
Der Unfallschaden
war nicht allzu groß, mein Kopf funktionierte einwandfrei, die anderen Körperteile
konnte ich ohne verdächtige Geräusche bewegen. Während ich Ben beruhigte, führte
Kurt einen Gesundheitscheck bei sich durch. Bis auf schmerzende Stellen an einigen
unwichtigen Körperteilen ging es ihm gut. Zum Glück lief das Auto noch, und ich
konnte problemlos auf die Straße zurückfahren. Der Knick in der Stoßstange und die
Beule am Kotflügel fielen nicht besonders auf.
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