Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)
im Ausland.‹«
»Bevor Sie
mich auf die Bärchenjagd schicken: Bin ich hier richtig – in der Redaktion von ›Riesengebirge
Heute und Morgen‹?«
Hochnäsig
sah er mich an. »Die mit Abstand größte lokale Zeitschrift. Ihre Heiratsannonce
wird auf ein breites Feld fallen und garantiert die reifen Früchte des Ehelebens
tragen.«
»An diesen
Früchten habe ich mir bereits meinen Magen verdorben. Ich brauche dringend Edy Cop.«
Der Jüngling
grinste und wiegte sich in den Hüften. »Ich habe auch einiges zu bieten.«
»Das ist
schön für Sie. Jetzt möchte ich mit jemandem von der Redaktion sprechen.«
»Die Redaktion
bin ich!« Seine kreisenden Hüftbewegungen wurden schneller. »Ich bin der Chefredakteur,
Jiri Vondrazek.«
»Ich möchte
trotzdem Edy Cop sprechen.«
Er unterbrach
seinen Bauchtanz. »Ich habe ihn gefeuert.«
»Warum?«
»Edy trank
im Dienst.«
»Seit wann
werden Alkoholtests durchführt, bevor man sich an den Schreibtisch setzt? Gerade
in Polen!«
Der Chefredakteur
lief rot an. »Ich behandle meine Mitarbeiter gerecht. Zurzeit habe ich keine, sonst
würden sie das bestätigen.«
»Was hat
Edy denn gemacht?«
»Er vergaß
seine journalistische Pflicht.«
»Das glaube
ich nicht. Bei der Ausstellungseröffnung im Museum zum Beispiel, da war er pflichtbewusst
wie sonst keiner. Bevor er unter dem Tisch einschlief, kroch er sogar einem bekannten
Arzt hinterher, um ein Interview mit ihm zu führen.«
»Das betrifft
nicht jenen Abend.« Der Chefredakteur rieb sich nervös den Nacken. »Edy hat den
Pförtner im Rathaus betrunken gemacht, um an Informationen zu kommen. Der Pförtner
musste danach auf die Intensivstation.«
»Kurze Freude,
lange Reue. Das sollte auch ein Pförtner wissen.«
Der Adamsapfel
des Chefredakteurs hüpfte vor Aufregung hoch und runter. »Das ist nicht alles. Edy
hat mir gegenüber behauptet, dass er brisante Informationen aufgetrieben hat. Daraufhin
habe ich groß eine neue Reihe aus meiner Feder angekündigt, und plötzlich verweigert
er mir seine Mitarbeit.«
»Vielleicht
will er selber darüber schreiben?
»Wer? Edy Cop alias Edward Mirosławski? Der beliebte
Schmierenjournalist der sozialistischen Propagandablätter? Plakate beschriften,
das kann er. Aber nicht schreiben. Warten Sie.«
Aus dem
Regal, das bis zur Decke mit Schriftstücken vollgestopft war, zog er eine vergilbte
Zeitung und streckte sie mir entgegen. Unter einem Foto rauchender Fabrikschornsteine
stand: ›Eine neue Epoche erwacht zum Leben. Auf den getrockneten Sümpfen der kapitalistischen
Vergangenheit entsteht ein neues Leben – die Schornsteine sprießen in die Höhe.
Der Himmel begrüßt die schweren, von sozialistischer Zukunft geschwängerten Rauchwolken,
der Wind trägt sie über Dörfer und Städte und verkündet die freudige Botschaft.‹
»Na?«, fragte
er. »Grauenvoll, nicht wahr?«
»Ja, ich
habe genug kahle Berge gesehen, die von der rauchigen ›frohen Botschaft‹ heimgesucht
wurden.«
»Ich meine
nicht das Waldsterben, sondern seinen Stil.«
»Oh, ja.
Wo wohnt er übrigens?«
»Sie wollen
ihn doch nicht etwa besuchen?«
»Doch.«
»Wozu?«,
wollte der Chefredakteur misstrauisch wissen.
»Beruflich,
ich würde ihn gerne fragen, ob man die Berge wieder aufgeforstet hat.«
»Aha, verstehe.
Sie scheinen ziemlich gerissen zu sein. Der Umweltschutz und so weiter. Was schreiben
Sie selbst und für wen?«
Ein Blitz
durchbohrte die untersten Schichten meines Bewusstseins, dort, wo die verdrängten
Probleme selig schlummern. Ja, das war eine gute Frage. Für wen und was? Herr Pech
hatte mich erst gestern daran erinnert, dass er eilig eine Geschichte benötigte.
Aus meiner Feder. Sie sei schon auf dem Weg zu ihm, hatte ich ihn beruhigt. Zögernd
sagte ich: »Augenblicklich recherchiere ich für eine Zeitung.«
»Eine Zeitung
in Berlin? Große Auflage?«
»Ja.«
»Also, wenn
Sie wünschen, kann natürlich auch ich eine Kolumne für Ihre Zeitung schreiben. Wissen
Sie, mein Spezialgebiet ist das Riesengebirge. Als gebürtiger Tscheche kann ich
doppelte Berichte schreiben, aus Polen und von drüben.«
»Ja, wer
weiß, keine schlechte Idee.«
Sein Gesicht
strahlte vor Wonne. »Edy wohnt gleich um die Ecke, Am Fluss 3. Ich wusste sofort,
dass wir uns verstehen werden.« Sein Kopf mit stachelig gegeltem Haar rückte gefährlich
nah an mein Gesicht heran. »Unter Arbeitskollegen: Im hinteren Zimmer habe ich eine
ausklappbare Couch und eine Flasche Wein. Das muss gefeiert
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