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Vom Mondlicht berührt

Titel: Vom Mondlicht berührt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Plum
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anderes dachte. Sie schien jedoch besänftigt und nachdem sie mir dankbar zugenickt hatte, trat auch sie vor, um eine Handvoll Erde in das Grab zu werfen.
    Ein kleiner Ruck ging durch die Trauergäste, als Vincent eine Hand hob, um das aufkommende Gemurmel zu beenden. »Entschuldigt, darf ich um eure Aufmerksamkeit bitten, liebe Freunde?«, sprach er. »Eigentlich wollte Geneviève euch etwas vorlesen, doch nun hat sie mich gebeten, das zu übernehmen. Es ist ihre und Philippes Lieblingsstelle aus Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman. Sie sagt, diese Passage hat ihnen geholfen, immer ›im Jetzt‹ zu bleiben.«
    Er räusperte sich kurz und fing an zu lesen.
    »Die Zeit vergeht so schnell ... ihre Tage und Stunden ... fliegen über unsern Häuptern dahin, wie leichte Wolken im Winde – ohne Wiederkehr. Alles drängt weiter – während Du diese Locke ringelst, siehe! ist sie grau geworden ...« Vincent schaute auf, unsere Blicke trafen sich kurz. Mit verstörtem Gesichtsausdruck wandte er sich wieder dem Text zu und las weiter.
    »Und jedes Lebewohl, das ich Dir sage, jede Entfernung, die ihm folgt, ist ein Vorspiel jener ewigen Trennung, die uns bald bevorsteht.«
    Mein Herz krampfte sich zusammen. Nicht nur symbolisch, es krampfte wirklich und tat fürchterlich weh. Dieser Text war wie für Vincent und mich geschrieben. Meine schlimmste Zukunftsvision hatte diese poetische Form angenommen und wurde von meinem Freund vorgetragen, als wäre es unser Klagelied.
    Das könnten wir sein, dachte ich einmal mehr. Was auch passierte, das Schicksal war gegen uns. Selbst wenn Vincent die Kraft aufbrachte, seinem Drang zu sterben zu widerstehen und die daraus resultierenden Qualen ertrug, würde er zwar gemeinsam mit mir alt werden, aber dennoch eines Tages als wunderschöner Jüngling am Grab seiner verschiedenen, alten Frau stehen.
    Und wieso denkst du überhaupt schon darüber nach , mit jemandem alt zu werden?, protestierte meine vernünftige innere Stimme empört und bewirkte, dass ich mich wie ein rührseliger Trottel fühlte. Du bist noch so jung! Woher willst du denn wissen , was du in fünf Jahren willst? Geschweige denn in sechzig! Aber es half nichts, ich konnte einfach keinen anderen Gedanken fassen. Die Tragödie stand mir so real und greifbar vor Augen, daran konnte auch mein Verstand nichts ändern.
    Eine irrationale und vorzeitige Trauer stach in mein Herz und sofort schossen mir heiße Tränen in die Augen. Ich musste hier weg. Fort von diesem niederschmetternden Ort, der so deutlich die Vergänglichkeit menschlichen Lebens offenbarte. Ganz langsam schob ich mich rückwärts aus der Menge, in der Hoffnung, dass niemand meine Flucht bemerkte.
    Schnell entfernte ich mich von der Trauergemeinde, warf nur kurz einen Blick über die Schulter. Tatsächlich hatte niemand mitbekommen, dass ich gegangen war. Alle Augen ruhten auf Vincent, der in einem Meer von dunklen Anzügen verschwand. Auch ich tauchte unter, in einem Pulk ausländischer Touristen, die Übersichtskarten in den Händen hielten, auf denen die Gräber der Berühmtheiten verzeichnet waren. »Edith Piaf liegt zwei Reihen weiter«, rief der Mann, der eine Gruppe amerikanischer Jugendlicher über den Friedhof führte. Noch vor einem Jahr habe ich auch so ausgesehen, dachte ich mit Blick auf ein lächelndes, sorgloses Mädchen in meinem Alter. Ich schloss mich der Gruppe an, bis ich weit genug von den Trauergästen entfernt war.
    Ohne ein bestimmtes Ziel ließ ich mich über den Friedhof treiben. Und dann fing es an zu regnen. Kalte Tropfen schossen wie kleine, spitze Pfeile vom Himmel auf mich nieder, weshalb ich unter einem kleinen, gotisch anmutenden Mausoleumsdach Schutz suchte.
    Das Dach wurde nur von Säulen getragen, weshalb es mich zwar vor dem Regen, nicht aber vor dem kalten Wind schützte. Ich kauerte mich neben eine oberirdische Gruft, auf deren Deckel zwei Figuren gemeißelt waren. Sie lagen nebeneinander auf ihrer marmornen Ruhestätte, die Handinnenflächen vor der Brust zum ewigen Gebet aneinandergelegt. Plötzlich wusste ich, wo ich war – meine Mutter und ich hatten mal während einer Führung genau hier gestanden. Dies war die Gruft von Abelard und Heloise. Wie passend , dachte ich, ausgerechnet heute lande ich zufällig am Grab des in Frankreich wohl berühmtesten tragischen Liebespaars.
    Dort saß ich nun, am Boden des Mausoleums, die Beine angewinkelt und ganz nah an meinen Körper gepresst, den Mantel fest um mich

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