Vom Mondlicht berührt
gegeben hatte. »Weil mir nicht nach ›blutigen Auseinandersetzungen um ein Drogenkartell im Miami der 1980er‹ ist, klingt ein deutscher Autorenfilm über Engel gerade richtig.«
Vincent lächelte müde und schnappte sich sein Telefon, um die Pizzen zu bestellen.
Ich warf derweil einen Blick auf die Uhr. Uns blieben ein paar gemeinsame Stunden, bevor er mich nach Hause bringen würde. Danach erstreckte sich ein ganzer Tag vor mir, an dem ich tun und lassen konnte, was ich wollte, ohne dass Vincent etwas von meinen Unternehmungen erfahren würde. Und genau das wollte ich ausnutzen.
S amstagmorgen machte ich mich wie jede Woche auf den Weg zum Kampftraining, verließ das Apartmenthaus und sah ... niemanden. Da fiel mir wieder ein, dass Vincent mich ja nicht abholen konnte, nicht mal in Geistform. Er war heute mausetot.
Bei La Maison angekommen, tippte ich den Türcode ein, überquerte den gepflasterten Innenhof und klopfte dann an die große Eingangstür. Das machte ich immer so, wenn Vincent nicht bei mir war. Gaspard öffnete und starrte mich überrascht an. Dann entschuldigte er sich überschwänglich. »Oh, meine liebe Kate«, sagte er, trat beiseite und bat mich herein, »unser Training ist mir vollkommen entfallen. Ich hätte mich bei dir melden sollen, um abzusagen. Charlotte hat heute Morgen angerufen. Charles ist verschwunden.«
»Verschwunden? Was soll das heißen?«, fragte ich.
»Es sieht ganz danach aus, als hätte er so lange gewartet, bis Geneviève richtig angekommen und eingezogen war, bevor er sich abgesetzt hat. Er hat ihnen eine Nachricht hinterlassen, dass sie sich keine Sorgen um ihn machen sollen, dass er einfach etwas Zeit für sich braucht und keinen Kontakt zu uns wünscht. Deshalb ist er irgendwohin gefahren, um wieder ›einen klaren Kopf zu kriegen‹.« Wenn Gaspard versuchte, umgangssprachlich zu sprechen, klang das immer ein wenig ungelenk.
»Schickt ihr jemanden los, um nach ihm zu suchen?«
»Wo sollten wir denn anfangen?«, antwortete Gaspard. »Fürs Erste werden Charlotte und Geneviève vor Ort bleiben, falls Charles sich entscheidet, doch einfach zurückzukehren. Des Weiteren habe ich unsere nächsten Anverwandten alarmiert und ich bin mir sicher, dass sich die Sache herumsprechen wird. Vielleicht meldet sich schon bald jemand, der ihn gesehen hat.« Er verstummte und blickte auf den Boden, als würde der ihm verraten können, wo Charles sich aufhielt. Dann löste er sich aus seiner Starre und fuhr fort: »Wie dem auch sei, ich muss noch eine Reihe Telefonate führen. Würdest du mich bitte entschuldigen?«
»Kann ich irgendwie helfen?«
»Nein, nein, nichts zu machen«, murmelte er, schon auf dem Weg zu einer der beiden wuchtigen Treppen.
»Ich bleibe trotzdem, okay?«, rief ich ihm hinterher.
»Ja, ja«, sagte er geistesabwesend und verschwand im Flur der oberen Etage.
Einen Moment lang blieb ich noch in der Eingangshalle stehen und fühlte mich schrecklich. Was hatte Charles bloß dieses Mal vor? Und wie ging es Charlotte? Sie musste ja vor Sorge vergehen. Ich nahm mir vor, ihr zu schreiben, sobald ich wieder zu Hause war.
Ich warf einen Blick Richtung Korridor, von dem Vincents Zimmer abzweigte, und musste mich ermahnen, nicht hinzugehen. Obwohl er es nie erfahren würde, wollte ich mich an unsere Abmachung halten. Diesmal zumindest.
Und dann kam mir plötzlich eine Idee. Das war die perfekte Gelegenheit, mir JBs Bibliothek vorzuknöpfen. Ich wartete, bis ich Gaspards Tür ins Schloss fallen hörte, rannte dann die Stufen hinauf und schnurstracks zur Bibliothek.
Dieser Raum war das wahre Bücherparadies für mich. Bisher war ich nie allein hier gewesen, sondern immer nur während Besprechungen, an denen alle Bewohner des Hauses teilgenommen hatten. Nun wartete er buchstäblich darauf, von mir erkundet zu werden. Tausende dicke Wälzer standen Seite an Seite in imposanten Regalen, die bis unter die Decke reichten. Und vermutlich fanden sich in den meisten davon Referenzen zu Revenants.
Wo sollte ich bloß anfangen? Zumindest wusste ich schon mal, wonach ich suchte: dem Stapel neu erworbener Bücher, von dem Vincent gesprochen hatte. Jene Bücher, denen sich Gaspard, der ja sozusagen inoffizieller Historiker und Bibliothekar der Pariser Sippe war, noch nicht hatte widmen können. Ich war nämlich überzeugt, dass er, wenn er Unsterbliche Liebe bereits gelesen hätte, dem Hinweis mit dem guérisseur längst nachgegangen wäre und Vincent mir davon erzählt
Weitere Kostenlose Bücher