Vom Regen in die Traufe
mmen auch Schnaps, Stoffe, Essen … und vor allem Geld wurde. Als Hermanni die Werkzeuge vom Beginn der Sechzigerjahre wie Ä xte, Motors ä gen und Tran s portschlitten betrachtete, ü berkam ihn Bitterkeit. Auch er hatte sich, verdammt noch mal, mit diesen Ger ä ten in den tiefen W ä ldern abgeplagt, er hatte den Wohlstand der Herren g e mehrt und das Bruttosozialprodukt gesteigert. Und was hatte ihm das alles eingebracht? Er bekannte Ragnar gege n ü ber, dass in dieser Ausstellung, die ihn zwangsl ä ufig an die Schufterei seiner Jugendjahre erinnerte, seine Entschlossenheit zur Revolte nur noch wuchs. Kein Wunder, wenn er in seiner Wut manc h mal all die Herren Finnlands am liebsten erschi e ß en w ü rde. Einfach die ganze Bande, die Kasinoclowns und verfluchten Sanierer, aufmarschieren lassen und mit dem Maschinengewehr niederm ä hen!
Von Savonlinna aus fuhren sie nach Helsinki, um Kleidung einzukaufen und bei Hermanni Ma ß nehmen zu lassen. In einem einschl ä gigen Gesch ä ft in der Aleksanterinkatu durfte er aus dem Angebot an eleganten Stoffen jene ausw ä hlen, aus denen seine neuen Anz ü ge geschneidert werden sollten. Butler Ragnar beriet ihn diskret dahingehend, dass er Stoffe mit we i chem Fall und aus Wollmischgarn nehmen sollte, deren Farben und Muster stilvoll, zugleich aber auch jugendlich waren. Drei Anz ü ge wurden bestellt, ein leichterer f ü r Alltag s zwecke, dazu ein zweireihiges Modell in fast blaugrauem Farbton sowie ein schwarzblauer Smoking.
» Einen Frack k ö nnen wir bei einem Schneider auf dem Ko n tinent in Auftrag geben, falls sich die Anschaffung als notwe n dig erweisen sollte « , entschied der Butler.
Sie suchten noch verschiedene andere Gesch ä fte auf, um Hemden, Str ü mpfe, Unterw ä sche, Krawatten und Fliegen einzukaufen. Die Wartezeit f ü r die Anz ü ge betrug einen M o nat, aber nach drei und einer halben Woche war vor der en d g ü ltigen Fertigstellung nochmals eine Anprobe erforderlich. Nun, die Zeit hatten sie, schon allein, weil Hermanni auf seinen Pass aus Inari warten musste.
Ragnar erz ä hlte von einer Methode, die fr ü her praktiziert worden war. Wenn der Schneider einem Gentleman einen fertigen Anzug aush ä ndigte, stellte er ihm zugleich einen Mann vor, den er selbst ausgew ä hlt und der genau die gleiche Figur wie der Auftraggeber hatte. Dieser Mann, ein armer Schlucker zumeist, hatte die Aufgabe, den neuen Anzug nach Anweisung des Schneiders zwei Wochen lang t ä glich ein paar Stunden zu tragen, damit er sich richtig zurechtzog. Danach wurde das gute St ü ck sorgf ä ltig gel ü ftet und geb ü gelt, und erst jetzt hatte es die endg ü ltige Fasson, die der Auftraggeber akzeptieren konnte.
» In England zum Beispiel wurden vor dem Zweiten Wel t krieg Studenten und Lakaien zum Probetragen, also f ü r die Erstbenutzung von Anz ü gen, gedungen. Erforderlich war, dass die betreffenden Personen ein beherrschtes Wesen hatten, und sie mussten arm genug sein, sich auf die Sache einzulassen. Au ß erdem durften sie auf keinen Fall in dem Anzug ö ffentl i che Feste besuchen, auch wenn es sich um Festkleidung ha n delte, denn dann w ä re das gute St ü ck in der feinen Gesellschaft bereits bekannt gewesen. «
Einmal war ein unvorsichtiger Erstbenutzer jedoch ü ber die Str ä nge geschlagen und im nagelneuen Jackett eines Lords zu einer Studentenfeier gegangen, hatte noch ordentlich angeg e ben mit dem noblen St ü ck, hatte, an Alkohol nicht gew ö hnt, zu viel getrunken und das Jackett sogar beschmiert, ehe man ihn achtkant aus dem Saal geworfen hatte. Der arme Bursche hatte dem Schneider den vollen Preis erstatten und somit seine Studien f ü r mindestens ein Jahr unterbrechen m ü ssen, denn damals kostete so ein Jackett ein Verm ö gen.
» Zur finnischen Demokratie geh ö rt kein Probetragen von Anz ü gen, sodass du die neuen St ü cke sozusagen kalt anziehen musst « , sagte Ragnar bedauernd.
Hermanni versprach, tapfer jenes Gef ü hl der Steifheit zu e r dulden, das neue Festklamotten ihrem Tr ä ger anfangs vermi t telten.
Auch der Schuhkauf war eine anspruchsvolle Angelege n heit. Es reichte nicht, dass man das gew ä hlte Paar anzog und mit dem Schuhl ö ffel zurechtr ü ckte. Zun ä chst musste man den Schuh gr ü ndlich untersuchen und die Weichheit des Leders, die Qualit ä t der N ä hte, die Form, die allgemeine Elastizit ä t pr ü fen. Beim Anprobieren musste man beide Schuhe anhaben, musste eine ganze Weile damit
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