Vom Regen in die Traufe
als zwanzig Exem p lare. Als der Regen der Schirme endlich endete, erhob sich hinter dem Gel ä nder eine alte Frau mit stolzer Haltung, sie beschrieb ein paar weite Kreise mit der Hand, so als w ä re sie eine gro ß e Volksf ü hrerin, dann ging sie festen Schrittes bis zum oberen Ende des Aqu ä duktes und verschwand aus dem Blickfeld.
Die Finnen erfuhren von den Schaulustigen, dass es sich um eine betagte Baronin handelte, die ihr Geld in der portugies i schen Nelkenrevolution eingeb üß t hatte – ihr Mann war vor der Revolution nach Brasilien geflohen, hatte das ganze Ve r m ö gen mitgenommen und seine Frau allein zur ü ckgelassen. Die Ä rm s te hatte den Verstand verloren und veranstaltete seither allj ä h r lich in Elvas dieses seltsame Schauspiel, sie warf den Volksma s sen Regenschirme zu, wie um zu beweisen, dass sie, obwohl verarmt, immer noch ihre Untertanen zu sch ü tzen wusste. Sie war angeblich Insassin der Lissabonner Nervenkl i nik und bekam von dort die Erlaubnis, einmal im Jahr auf ihr altes Familiengut nach Elvas zu fahren und dort ihr Spektakel zu veranstalten.
Traurig dachte Lena Lundmark, dass genau das im schlimmsten Falle die Folge war, wenn ein reicher Mensch arm wurde.
Die Pousada Santa Luzia in Elvas war ein neues, von au ß en fast anspruchslos wirkendes Geb ä ude, das mehr an eine vo r nehme Villa als an ein Hotel erinnerte. Es gab einen Swi m mingpool und einen sch ö nen Garten. Spanische Tagestouri s ten bev ö lkerten die Pousada, sie kamen in l ä rmenden Scharen ü ber die Grenze, um hier einen Lunch einzunehmen. Die elvasische K ü che war so ber ü hmt, dass die G ä ste von weit her anreisten. Die lokale Spezialit ä t war Dorsch Dourado, aber die drei Finnen speisten geschmortes Lamm.
W ä hrend Hermanni dem spanischen Palaver ringsum lauschte, philosophierte er ü ber den h ö heren Sinn von Sprac h kenntnissen. Er war der Meinung, dass sich der Reisende keine allzu guten Fremdsprachenkenntnisse aneignen sollte. Die Exotik, die Ausl ä ndern eine gewisse faszinierende Wirkung verlieh, verflog auf banale Weise, wenn sie den Mund aufmac h ten und lauter einf ä ltiges Zeug von sich gaben. Die Menschen, auch Idioten, reisten heutzutage viel und verbreit e ten ü berall ihre dummen Gedanken, weil sie fremde Sprachen gelernt hatten. Bl ö dsinn verbreitete sich mit blitzartiger Geschwindi g keit von Mund zu Mund, ü ber die Sprachgrenzen hinweg. Das war auch der Grund f ü r die zunehmende Obe r fl ä chlichkeit, ja den direkten Verfall der westlichen Zivilisation. Lautlose Ei n sprachigkeit sollte daher propagiert werden. Eigentlich m ü sste verf ü gt werden, dass nur einigerma ß en vern ü nftige Menschen das Recht hatten, ein Gespr ä ch zu er ö ffnen.
Marvao ragte schroff im Grenzgebiet zwischen Portugal und Spanien auf. Es war ein uralter Festungsberg, oben auf seiner Spitze gab es ein d ü steres Schloss und eine kleine Stadt. In den schmalen Gassen mit Kopfsteinpflaster spielten sch ü chterne Kinder, und ein paar Touristen fotografierten sich gegenseitig vor den alten Schlossmauern. Zwei w ü tende Stra ß enk ö ter balgten sich verbissen neben einer kleinen Leichenhalle. Sie stritten sich um einen stinkenden Knochen, den sie im umg e kippten M ü llcontainer gefunden hatten.
Die Pousada Santa Maria war aus zwei ehemaligen Priva t h ä usern entstanden, und somit waren die Zimmer recht schlicht, jedoch ebenfalls mit allem n ö tigen Komfort ausgesta t tet. Ragnar Lundmark brauchte Zeit, um mit seinen Kr ü cken die steilen Gassen zur Pousada hinaufzukraxeln, aber oben angekommen, freute auch er sich ü ber den sch ö nen Ausblick ins unten liegende fruchtbare Tal.
Auf der Speisekarte des Restaurants standen Flunder mit K o riander gew ü rzt, au ß erdem Ä sche, Krabben und Hummer, obwohl man sich weit weg vom Meer befand. Lena und Ragnar bestellten sich zum Abendessen Fisch und Krebse, aber He r manni mied all das und begn ü gte sich mit einer magenfreundl i chen Suppe aus Ziegenfleisch, die die Spezialit ä t des Hauses war.
Der Sonnenuntergang f ä rbte den westlichen Horizont bla u rot. In den abendlichen Dunst mischten sich helle Rauchstre i fen, die von vereinzelt knisternden Buschbr ä nden stammten. Im Osten, in den Ebenen Spaniens, ragten Kircht ü rme auf, auch einige St ä dte, und dort badeten die vertrockneten We i zenfelder in gelbem Sonnenlicht. In diesen Gegenden waren im Laufe der Jahrhunderte unz ä hlige Kriege gef ü hrt worden,
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