Vom Schicksal bestimmt: Soul Seeker 1 - Roman (German Edition)
sehe, wie sie ihn mustert, weiß ich, dass sie genauso nervös ist wie ich. »Also was meinst du, sollen wir reingehen und uns vergewissern?« Sie nimmt meine Hand und drückt sie kurz und kräftig, dann öffnet sie die Fahrertür, steigt aus und gibt mir ein Zeichen, ihrem Beispiel zu folgen.
Ich schiebe die Hände tief in die Taschen und gehe hinter ihr her, schleife meine Füße über abgetretene, einst beigefarbene Bodenfliesen und halte den Kopf gesenkt, so dass mein Haar nach vorn fällt und mein Gesicht verdeckt. Mit dem Ziel, mir eher ein genaues Bild von ihm zu machen, als er sich eines von mir machen kann, registriere ich sorgfältig alle kleinen Details, die mir auf den ersten Blick entgangen sind: die mit Türkisen verzierte Westernkrawatte, die er zu dem ordentlich gebügelten und gestärkten weißen Hemd trägt,
seine hohen Wangenknochen, die breite Nase und die ausdrucksvollen, dunklen Augen, die so viel Güte ausstrahlen, dass meine verkrampften, hochgezogenen Schultern vor Erleichterung nach unten sinken.
Du bist in guten Händen.
Der Gedanke wirbelt durch meinen Kopf, doch ich verwerfe ihn schnell wieder. Ich kann mich genauso wenig auf die Dinge verlassen, die ich höre, wie auf die, die ich sehe. Außerdem wäre es viel zu einfach. Er muss sich meinen Respekt erst verdienen.
Wir steuern die hinterste Nische an, wo er sich niedergelassen hat. Als er uns sieht, steht er auf, und ich wundere mich, wie geschmeidig seine Bewegungen für einen Mann seines Alters wirken. Trotz meines festen Vorsatzes, ihn zu hassen und irgendeinen Makel an ihm zu entdecken, der Jennika gegen ihn einnehmen und ihre Entscheidung zu Fall bringen würde, muss ich zugeben, dass sein Begrüßungslächeln das aufrichtigste Lächeln ist, das ich seit langer Zeit gesehen habe.
Er streckt uns die Hand entgegen und stellt sich als Chayton – kurz Chay – vor, und es gefällt mir, dass sein Händedruck fest und ehrlich wirkt. Er speist mich nicht mit einem schlaffen Handschlag ab, nur weil ich ein Mädchen bin.
Ich setze mich ihm gegenüber auf die Bank und rücke zur Wand, woraufhin Jennika neben mir Platz nimmt. Und als Chay auf dem Tisch die Hände faltet und sich beim Sprechen ein wenig nach vorn beugt, wird er mir noch sympathischer, weil er nicht über Fußball, das Wetter oder anderen Blödsinn redet, um die verstörenden Gründe zu umgehen, die uns hierhergeführt haben.
Er sieht mich an und kommt sofort auf den Punkt. »Ich werde nicht so tun, als wüsste ich, wie du dich jetzt fühlst. Das weißt nur du selbst. Und welche Gefühle und Gedanken auch
immer dich gerade beschäftigen, ich hege keinen Zweifel daran, dass sie gerechtfertigt sind. Was ich dir sagen kann, ist, dass die Fahrt nach Albuquerque etwa sieben Stunden dauert. Und dann weitere drei, bis wir Enchantment erreichen, wo deine Großmutter lebt. Wir beide haben also eine lange Reise vor uns, aber wir können die Zeit so verbringen, wie du es möchtest. Wir können uns unterhalten, wenn du willst, und wenn nicht, dann ist es auch gut. Wenn du Hunger kriegst, halten wir an. Wenn du dir ein bisschen die Beine vertreten willst, können wir ebenfalls anhalten. Wenn du, außer zum Tanken, gar nicht anhalten, sondern lieber durchfahren willst, dann können wir das auch machen. Ich habe keinerlei Erwartungen und verlange nichts von dir. Lass mich einfach wissen, was ich tun kann, um die Reise für dich so angenehm wie möglich zu machen, und ich tue, was ich kann, um deine Wünsche zu erfüllen. Irgendwelche Fragen? Irgendetwas, das du mir über dich erzählen möchtest?«
Ich stutze und weiß nicht, was ich antworten soll. Die Rede, die ich mir zurechtgelegt habe, in der ich ihm erklären wollte, dass er mir nicht blöd kommen soll, scheint mir nicht mehr angemessen. Also schüttele ich stumm den Kopf und starre auf die Speisekarte. Betrachte laminierte Bilder von Hamburgern, Sandwiches, Salaten und Kuchen, als müsste ich die Karte auswendig lernen. Doch als die Bedienung kommt, um unsere Bestellung aufzunehmen, lasse ich den anderen beiden den Vortritt, da ich noch Zeit brauche, um irgendetwas auszusuchen, das ich wahrscheinlich sowieso nicht essen werde.
Jennika bestellt nur einen Kaffee mit Milch und sagt, sie sei zu nervös. Sie will sich lieber was am Flughafen holen oder im Flugzeug essen, während Chay allen Gesundheitsaposteln zum Trotz ein Stück Pecan-Pie mit Vanilleeis auswählt – was ihm bei mir einen weiteren Pluspunkt einbringt.
Und
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