Vom Schicksal bestimmt: Soul Seeker 1 - Roman (German Edition)
einen alten Pick-up mit einem Nummernschild von New Mexico umzuladen.
Dieser einfache Vorgang besiegelt unsere Trennung, und Jennika bleibt nichts mehr weiter zu tun, als mich in ihre zitternden Arme zu ziehen. Versprechen und Entschuldigungen flüsternd, klammern wir uns verzweifelt aneinander – bis ich mich durchringe, die Umarmung als Erste zu lösen und zurückzuweichen.
Mich zwinge, stark zu sein.
Zu lächeln, als sei mir leicht ums Herz, und mich nicht umzuschauen, so gern ich es auch täte.
Ohne innezuhalten, steige ich in Chays Auto und setze mich auf den Beifahrersitz, während er zurückstößt und vom Parkplatz auf die Straße fährt und jenen Ort ansteuert, der die einzige Hoffnung für mich darstellt.
Sechs
D a Chay es in Ordnung findet zu schweigen, verbringe ich den größten Teil der Fahrt mit Dösen und Lesen oder schaue gelegentlich aus dem Fenster. Erst als wir die Staatsgrenze nach New Mexico überqueren, schlage ich das rotlederne Tagebuch auf, das mir Jennika geschenkt hat, da es nicht schaden kann, meine Eindrücke zu notieren, auch wenn ich wenig erwarte.
Man kann einen Ort nur einmal objektiv sehen. Und selbst dann spielt jeder andere Ort mit hinein, den man je besucht hat. Wenn man sich erst einmal eingelebt, ein bisschen Zeit dort verbracht und ein paar Leute kennen gelernt hat, kann man es vergessen. Von da an ist die eigene Meinung von allen möglichen Vorurteilen belastet, die einzig und allein auf den Erfahrungen beruhen, die man gemacht hat.
Nur auf den ersten Blick bekommst du den reinsten Eindruck.
Also klappe ich den Einband auf und schreibe:
Steppenläufer.
Und sehe zu, wie eine ganze Familie solcher Dornbüsche torkelnd über die Landstraße weht, während Chay gekonnt um sie herummanövriert, ohne die Geschwindigkeit zu drosseln.
Das Wort wird bald gefolgt von:
Blauer Himmel
RIESIGER dunkelblauer Himmel
Selbst die Sonne sieht größer aus als normal – wie ein riesiger, lodernder Feuerball, der aus dem Himmel fällt und der Erde entgegenstürzt!
Der Übergang vom Tag zur Nacht lässt den Horizont unendlich erscheinen!
Dann, direkt darunter, füge ich hinzu:
Ich glaube, ich habe noch nie einen so weiten Himmel gesehen.
Ich unterstreiche das Wort weiten , damit ich, wenn ich es später noch mal durchlese, weiß, dass ich es so gemeint habe.
Mein Stift wandert über die Seite, im Takt mit den Gedanken in meinem Kopf, während ich immer wieder aus dem Fenster sehe und feststelle, dass die zunächst ausgedörrte, kahle Landschaft aus Grau- und Brauntönen auf einmal einer reichen Palette roter Erdtöne, wehenden gelben Gräsern und schroffen, hoch aufragenden Tafelbergen Platz macht, die sich aus einem Canyon erheben.
»Wow«, flüstere ich, aber was ich wirklich denke, ist: Klein. Winzig. Jämmerlich unbedeutend – und damit meine ich mich.
Das hier ist zu groß. Zu immens. Zu weit. Es wirkt beinahe kosmisch in seiner Art, wie es sich der Ewigkeit entgegenzuwinden scheint.
Obwohl ich mir vorgenommen habe, der Sache eine Chance zu geben, hege ich nicht den geringsten Zweifel daran, dass dieses Land mich schrumpfen lassen wird.
Die plötzliche Erkenntnis löst nagende Sehnsucht nach meinem alten Leben aus – ein körperlicher Schmerz, den nur ein hektisches Filmset mit seinen klar definierten Grenzen
und seiner Kleinstadtatmosphäre, in der jeder einen Namen, einen Titel und eine Funktion hat, heilen kann.
»Willkommen im Land der Verzauberung.« Chay lächelt.
»Sind wir da? Wohnt sie hier?« Ich blinzele in die Ferne, sehe aber keine Häuser, sondern nur Meilen und Abermeilen unbebautes Land, das sich endlos hinzuziehen scheint. Sein Anblick lässt mich wünschen, er würde einfach anhalten, wenden und mich wieder dorthin zurückbringen, wo ich herkomme.
Chay lacht, und es klingt sympathisch und voll. »New Mexico nennt man das Land der Verzauberung. Enchantment, also die Stadt der Verzauberung, wo deine Großmutter wohnt, ist noch ziemlich weit weg. Auf der anderen Seite von dem Pass hier gibt es eine Tankstelle. Ich würde sagen, wir tanken und vertreten uns ein paar Minuten lang die Beine, ehe wir weiterfahren, was meinst du?«
Ich nicke. Stecke den Bleistift wieder in das Notizbuch. Ich bin zu aufgeregt zum Schreiben, zu aufgeregt, etwas anderes zu tun, als aus dem Fenster zu sehen und auf den Augenblick zu warten, in dem die Landschaft durch das Versinken der Sonne komplett ausgelöscht sein wird.
Chay biegt in die Tankstelle ein
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