Vom Schicksal bestimmt: Soul Seeker 1 - Roman (German Edition)
ich mir ängstlich ausgemalt hatte, ist es mir irgendwie doch alles ein bisschen unheimlich – hier in dem Haus zu sein, wo mein Dad sechzehn Jahre lang gelebt hat, ehe er nach Kalifornien abgehauen ist, wo er meine Mutter kennen gelernt hat und bald danach umgekommen ist.
Doch Paloma hat Geduld. Sie hält die Tasse auf eine Weise, die keinen Zweifel daran aufkommen lässt, dass sie notfalls noch stundenlang so stehen bleiben wird. Und da der Abend im Grunde nicht sonderbarer und peinlicher werden kann, als er es bereits ist, seufze ich tief und gebe nach. Ich schlinge die Finger um den glatten Keramikgriff und fühle mich auf der Stelle hingezogen zu dem wundervollen, verführerischen Duft, den der unbekannte Trank verströmt.
Im Handumdrehen habe ich alles ausgetrunken. Paloma stellt die Tasse auf einen Tisch und sagt: »Es müsste bald wirken, also bringe ich dich am besten gleich auf dein Zimmer.«
Ihre Berührung ist leicht und warm, als sie mich am Ellbogen hält und mich einen kurzen Korridor entlangführt – erst an einer und dann an einer zweiten geschlossenen Tür vorbei. Schließlich geleitet sie mich durch eine Rundbogentür in ein Zimmer, wo ich augenblicklich aufs Bett falle.
Mit geschickten Fingern zieht sie mir Schuhe und Hose aus und steckt mich unter die Decke. »Morgen früh sprechen wir über alles«, sagt sie. »Aber jetzt, süße nieta , schlaf erst mal gut.«
Acht
I ch bin in einem Wald.
In einem kühlen, windstillen, üppig grünen Wald mit hohen Bäumen, die mit ihren langen und verschlungenen Ästen ein so dichtes Laubdach bilden, dass nur winzige Sonnenpünktchen durchdringen können. Das Licht glitzert auf den Blättern und lässt sie belebt wirken – als bewegten sie sich in Harmonie zum lieblichen Lied des Raben.
Meine Füße gleiten flink und leicht einen Trampelpfad entlang, der Rabe sitzt auf meiner Schulter. Seine wachen, violetten Augen mustern die Umgebung, während sich in meiner Erinnerung ein vages Bewusstsein meldet und mich daran erinnert, dass ich keinen Grund habe, mich zu fürchten. Der Rabe wird mich leiten, er ist mein Führer. Es ist meine Bestimmung, hier zu sein.
Wir klettern über Felsen und waten durch munter sprudelnde Bäche. Das Wasser steigt immer höher, bis es mir über die Knöchel reicht und mein Kleid benetzt. Mein Haar wird nass und kräuselt sich, und schon bald reicht mir das Wasser zu den Ohrläppchen. Ich greife nach einem Felsen am Ufer gegenüber, ziehe mich hoch und werfe mich auf seine flache Oberseite, den Raben dicht an meiner Seite. Sonnenstrahlen wärmen uns, ziehen die Nässe aus meinem Kleid, aus meinem Haar und meiner Haut – und jagen sie in den Himmel zurück, wo sie verspricht, mich in Form von Tau, Schnee oder Regen wieder aufzusuchen. Doch es dauert nicht lange, da stupst mich der gekrümmte Schnabel des Raben an die Schulter und signalisiert mir, dass es an der Zeit ist aufzustehen und weiterzugehen.
Unser Weg führt uns durch dicht bewaldetes Gebiet und endet in dem Moment, wo sich die Klauenfüße des Raben so fest in meiner Schulter verkrallen, dass sie sich fast in mein Fleisch bohren. Er flattert, spannt die Flügel aus und erhebt sich in die Luft – und obwohl ich den Blick gen Himmel hebe und angestrengt versuche, ihn zu verfolgen, dauert es nur einen Lidschlag, bis er außer Sichtweite ist.
Seine Mission ist beendet, ich brauche ihn nicht mehr. Ich habe mein Ziel erreicht, eine schöne, grasbewachsene Lichtung.
Beklommen streiche ich über mein Kleid und hoffe, dass ich für den Freund, der mich erwartet, vorzeigbar bin, hübsch. Ich spüre seine Gegenwart, lange bevor ich ihn sehe. Und so schließe ich die Augen, atme seinen erdigen Geruch ein und genieße das Aufwallen von Adrenalin, das mein Herz hektisch schlagen lässt – dehne den Augenblick so lang wie möglich aus, ehe er mich ruft, mich bittet, ihn anzusehen.
Der Klang meines Namens auf seinen Lippen zaubert mir ein breites Lächeln aufs Gesicht, während ich ihn bewundere und sein Bild in mich aufsauge, genau wie er es mit mir tut. Mein Blick schweift über diesen schönen, namenlosen Jungen mit der glatten, braunen Haut und dem glänzenden schwarzen Haar, das ihm ins Gesicht fällt. Sein Oberkörper ist nackt und schlank, seine Schultern breit und kräftig, und seine seitlich herabhängenden Hände lassen kaum erahnen, welche Wonnen sie – wie ich weiß – spenden können.
Er streckt die Hand nach mir aus, schlingt seine Finger in meine
Weitere Kostenlose Bücher