Vom Schicksal bestimmt: Soul Seeker 1 - Roman (German Edition)
erscheint mir seltsam förmlich, sie zu schütteln, aber andererseits bin ich noch nicht ganz dazu bereit, sie gleich zu umarmen. Genetisch betrachtet mag sie ja meine Großmutter sein, aber in diesem Augenblick ist sie lediglich eine kleine, gut aussehende Fremde mit blitzenden dunklen Augen, einem großzügigen Lächeln, einer Nase, die mich an meine eigene erinnert, und langem, schwarz glänzendem Haar mit etlichen silbernen Strähnen.
Ich murmele einen Gruß und wedele die Worte rasch weg, ehe ich die Hand wieder in der Jackentasche vergrabe. Meine abweisende Geste ist mir peinlich, aber angesichts der Umstände kann ich nicht anders.
Falls Paloma gekränkt ist, so verbirgt sie es gut. Sie lächelt warmherzig und winkt mich hinein. »Komm jetzt, Kind, komm rein. Komm ins Warme. Es ist schon spät, und du hast
eine lange Reise hinter dir. Ich zeige dir dein Zimmer, damit du es dir gemütlich machen und gleich zu Bett gehen kannst, und morgen lernen wir uns dann besser kennen. Aber fürs Erste brauchst du vor allem Ruhe.«
Ich trete ein, während Chay mit meiner Tasche den Flur entlang verschwindet. Auf einem bunten Webteppich direkt hinter der Tür bleibe ich stehen und sehe mich neugierig um. Ich mustere die dicken, leicht gerundeten Wände, die Türrahmen aus Naturholz, die dicken Holzbalken an der Decke und den wie ein Bienenstock geformten Kamin in der Ecke, in dem ein Stapel Holz liegt und den Raum mit dem Duft des Mesquitebaums erfüllt.
»Deine Mutter hatte Recht«, sagt Paloma und geht in die Küche. Ihr leichtes Baumwollkleid weht hinter ihr her, und ihre bloßen Füße fliegen auf eine Art über den Boden, dass ich blinzele, hinstarre, erneut blinzele – um mich zu vergewissern, dass sie nicht wirklich schwebt, obwohl es so wirkt. »Abgesehen von den Augen siehst du genauso aus wie dein Vater. Mein Django.« Ihre Augen werden feucht. Die einzigen Bilder meines Vaters, die ich je gesehen habe, stammten von einem dieser Schwarz-Weiß-Streifen, wie man sie aus den Fotoautomaten zieht.
Es waren insgesamt drei Bilder: eines von Django allein (lächelnd), eines von Jennika allein, die angestrengt versucht, den Look von Courtney Love in den Neunzigerjahren nachzuahmen – wasserstoffblonde Haare, dunkelroter Lippenstift und ein extrem kurzes Baby-Doll-Kleid. Und eines von ihnen zusammen. Jennika sitzt wie hingegossen quer über Djangos Schoß, den Kopf lachend in den Nacken geworfen, während Django sie theatralisch auf den Hals zu küssen versucht.
Es versteht sich von selbst, dass das dritte mein Lieblingsbild ist.
Sie sehen darauf beide so jung und so verliebt aus – so sorglos und frei.
Und auch wenn mir dieser Anblick gut gefällt, ist es doch die Botschaft, die mich wirklich anrührt.
Eine Warnung.
Zumindest eine Mahnung zur Vorsicht.
Alle notwendigen optischen Beweise, die mir klar vor Augen führen, dass sich das Leben von einem Moment auf den anderen radikal ändern kann.
Eine Erinnerung daran, dass einfach so deine ganze Welt auf den Kopf gestellt werden kann, ohne dass du etwas dagegen tun könntest.
Drei Monate nachdem dieses Foto entstanden war, war Django tot und Jennika schwanger, und nichts war jemals wieder sorglos und frei.
Als Kind bat ich sie um den ganzen Streifen, aber Jennika lachte nur und sagte Nein. Dann bat ich um das mit dem Kuss – es war sowieso das, das ich am liebsten wollte –, doch sie schüttelte den Kopf. Schließlich schnappte sie sich eine Nagelschere, schnitt das oberste ab und gab es mir.
Während nun also Django in meine Brieftasche wanderte, versteckte Jennika die anderen zwei. Sie fand nie heraus, dass ich jedes Mal, wenn sie einen neuen Job hatte, den ersten Tag damit zubrachte, ihr Versteck auszukundschaften und mich in das Kussfoto zu vertiefen, während sie arbeiten war.
Paloma macht sich an einem Topf auf dem Herd zu schaffen und rührt mit einem großen Holzlöffel darin herum, den sie immer wieder in regelmäßigen Abständen an die Nase führt, um daran zu riechen. Als sie das Gebräu schließlich für fertig erachtet, gießt sie den Topfinhalt in einen großen, handgemachten Becher und kommt zu mir herüber.
»Trink das, solange es warm ist«, sagt sie und hält mir den
Becher hin. »Damit kannst du besser schlafen. Es schenkt dir Ruhe.«
So ungern ich es auch zugebe, zögere ich, den Becher entgegenzunehmen. Obwohl Paloma nett und überhaupt nicht bedrohlich wirkt, ganz und gar nicht wie die Furcht einflö-ßende Kräuterhexe, die
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