Vom Schicksal bestimmt: Soul Seeker 1 - Roman (German Edition)
die Seele, das Herz gehört dir ganz allein.«
Mein Freund steht vor mir, ein solider Schutzwall. »Es gibt kein Herz ohne Seele. Ich fürchte, du bekommst keines von beiden.«
Der Blick des anderen Jungen wird finsterer, entschlossener und grausamer, als er verächtlich seine Drohung ausspricht. »Dann muss ich wohl deine nehmen.«
Es dauert einen Moment, ehe wir es begriffen haben.
Einen Moment, ehe es uns klar wird.
Einen Moment zu lang.
Verschwendete Zeit.
Die Drohung wird so schnell Wirklichkeit, dass ich mit großen Augen und offenem Mund zusehe, als aus dem Jungen – dem mit den kalten, leeren Augen – etwas anderes wird.
Etwas Unkenntliches.
Etwas Unirdisches.
Etwas Monströses, Dämonisches – geboren aus dunkler, stinkender Saat und anderen schlechten, verdorbenen Dingen.
Sein Mund wird zackig, bluttriefend und obszön und birgt spitze Reißzähne, mit denen er sich in meinen Freund verbeißt und ihm die Haut in Fetzen vom Leib reißt. Die Brust meines Freundes
wird zu einer zerfleischten, blutigen Masse, die das Wasser schaurig rot färbt.
Er wirft den Kopf in den Nacken und stößt ein schreckliches Knurren aus. Seine Augen glühen scharlachrot, genau wie das Blut, das ihm vom Kinn tropft, während eine grässliche Schlange zwischen seinen Lippen hervorschießt, von derselben Stelle aus, wo zuvor seine Zunge war.
Ich greife nach meinem Freund, fasse ungeschickt nach ihm, panisch bemüht, ihn zu retten.
Ich darf ihn nicht verlieren.
Darf es nicht geschehen lassen.
Nicht, nachdem ich sechzehn Jahre gebraucht habe, um ihn zu finden.
Obwohl das Wort noch nicht ausgesprochen wurde, lässt sich nicht leugnen, dass zwischen uns Liebe herrscht.
Liebe, die uns hierhergebracht hat.
Wir sind aneinander gebunden.
Das ist vom Schicksal bestimmt.
Manche Dinge weiß man einfach, ohne zu fragen.
Ich stürme los. Trete. Kämpfe. Schreie. Doch meine Versuche sind vergebens – ich kann mich nicht mit der Schlange messen.
Sie schlängelt sich an mir vorbei. Lässt sich mitten in die jetzt weit aufklaffende Höhle der zerfleischten Brust meines Freundes fallen.
Und kehrt mit einer heiligen, schimmernden Kugel zurück, an der sie vorsichtig und sachte leckt, bevor sie sie auf einen Satz verschlingt – und das Leben, das sie barg, wie eine Flamme auslöscht.
Der Dämon grinst – ein entsetzlicher Anblick, der sich auf ewig in mein Gehirn einbrennt. Dann löst er sich auf und lässt mich allein mit meinem Freund – meiner großen Liebe – meiner Bestimmung –, der nun als leere Hülle aus leblosem Fleisch schlaff in meinen Armen liegt.
Neun
M it einem Schrei wache ich auf. Ich liege mit dem Gesicht nach unten da, den Mund so ins Kissen vergraben, dass es das Geräusch erstickt. Trotzdem fürchte ich unwillkürlich, dass Paloma es gehört haben könnte und nun womöglich angelaufen kommt, um nach mir zu schauen.
Ich trete das Gewirr aus Decken und Laken weg und schiebe alles ans Fußende. Während ich mich an dem kurzen, hölzernen Kopfteil aufrichte, lausche ich angestrengt in den Flur, um sofort jegliches Zeichen eines eventuellen Nahens meiner Großmutter zu vernehmen, da es garantiert nur eine Frage der Zeit ist, bis sie mit irgendeinem seltsamen Kräutersud ins Zimmer gestürzt kommt und mich zwingt, das Zeug zu trinken. Aber unter der Tür dringt nichts weiter hindurch als beruhigende Küchengeräusche.
Laufendes Wasser, brutzelnde Butter und das leise Schmatzen einer aufgehenden Kühlschranktür sowie das entschiedene Geräusch, als sie wieder zufällt. Die alltägliche häusliche Geräuschkulisse, die für die meisten Menschen selbstverständlich ist – und die ich nur aus Fernsehserien und Kinofilmen kenne.
Die letzten sechzehn Jahre waren Jennika und ich ständig unterwegs, was bedeutet, dass ich die meisten Mahlzeiten in Flugzeugen, Restaurants, ausländischen Lokalen mit fremdartigen Gerichten und – wenn ich Glück hatte – an den großen Catering-Buffets auf Filmsets eingenommen habe.
Das einzige Mal, als etwas »normaler« Häuslichkeit ähnelte, war, als wir an meinem zwölften Geburtstag zufällig bei Harlan waren und Jennika uns mit Armen Rittern überraschen wollte. Dummerweise wurde sie abgelenkt, als das Brot in der Pfanne briet, und im Handumdrehen war die Küche voller Qualm, und der Rauchmelder gellte los. Nachdem das Chaos beseitigt war, quetschte uns Harlan allesamt in sein Auto und lud uns zum Brunch in ein veganes Lokal in der Nähe von Malibu
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