Vom Schicksal bestimmt: Soul Seeker 1 - Roman (German Edition)
durchs Internet vervielfacht – und wartet jetzt auf ihren eigenen ausführlichen Auftritt in irgendeiner geschmacklosen Klatschsendung im Privatfernsehen.
Ich bohre die Fingernägel ins Titelblatt und zerreiße es in winzige Fetzen. Dann, nachdem ich das zerfledderte Blatt in den Mülleimer geworfen habe, kehre ich zu Chays Pick-up zurück, wo er mich mit sorgenvoller Miene erwartet.
»Mir geht’s gut«, sage ich, reiche ihm eine Flasche Cola und setze mich auf den Beifahrersitz. »Ich will nur endlich ankommen, weiter nichts«, füge ich hinzu und begreife erst in dem Moment, als ich es ausgesprochen habe, dass es wahr ist.
Sieben
A ls Chay zum ersten Mal erwähnte, dass Paloma in einem kleinen Lehmziegelhaus wohnt, war das für mich nur eine Belanglosigkeit, über die ich nicht weiter nachdachte. Doch nachdem wir den asphaltierten Highway verlassen und über eine Stunde Fahrt auf extrem holperigen Schotterstraßen ohne jegliche Beleuchtung hinter uns gebracht haben, brennen mir allmählich die Augen, weil ich so angestrengt geblinzelt habe, um zu erraten, welches Lehmziegelhaus ihres ist.
Überall stehen welche.
Ich meine, es gibt auch andere Arten von Häusern und eine Menge Trailerhäuser, aber in dieser speziellen Gegend überwiegen Lehmhäuser, so dass der Pueblo-Stil die Gesamtwirkung bestimmt.
In New York City gibt es Hochhäuser und Brownstones, an der nordwestlichen Pazifikküste Häuser mit Holzverkleidung, und in Südkalifornien findet sich so ziemlich alles. Aber offensichtlich ist dieser Teil von New Mexico überwiegend von rechteckigen Häusern mit Flachdach und abgerundeten Mauern aus gebrannter Erde geprägt.
Was bedeutet, dass ich mich jedes Mal, wenn wir auf ein weiteres zufahren, frage: Ist es das? Ist das das Haus, in dem Paloma wohnt?
Nur um enttäuscht aufzuseufzen, wenn Chay schnurstracks daran vorbeifährt und dann auch gleich am nächsten.
Als er dann endlich vor einem hohen, blauen Tor anhält,
um das sich gerundete Mauern schmiegen, bin ich von dem Junkfood und meiner Nervosität dermaßen überdreht, dass ich gar nicht vernünftig reagieren kann.
»Das ist es«, sagt Chay, und sein Lächeln ist immer noch so gutmütig wie zu Beginn dieser Fahrt, als wären die letzten zehn Stunden, die er als Chauffeur eines mürrischen Teenagers zugebracht hat, nicht nur ein Vergnügen, sondern auch ein Klacks.
Er hievt meine Tasche aus dem engen Spalt hinter den Sitzen, wirft sie sich über die Schulter und bedeutet mir, ihm zu folgen. Als ihn das Tor mit lautem Quietschen begrüßt, murmelt er vor sich hin, dass er es dringend ölen muss, winkt mich an sich vorbei und folgt mir.
Sowie ich über die Schwelle getreten bin, erstarre ich. Wie angewurzelt bleibe ich auf dem gekiesten Steinweg stehen, der zur Haustür führt, und will nicht weitergehen – will nicht als Erste dort ankommen.
Ich habe keine Ahnung, wie Paloma aussieht – und wie sie ist.
Ich habe keine Ahnung, was mich erwartet.
Ich hätte mehr Fragen stellen sollen.
Ich hätte die letzten zehn Minuten dazu nutzen sollen, um Chay Löcher in den Bauch zu fragen – bis er mir jedes dunkle und schmutzige Geheimnis erzählt hätte, das Paloma verbirgt.
Stattdessen habe ich gefuttert. Und gelesen. Und von einem Phantomjungen mit brauner Haut, eisblauen Augen und langem, glänzend schwarzem Haar geträumt – einem Jungen, dem ich im echten Leben nie begegnet bin.
Das hat mich ja echt weitergebracht.
Ehe ich Chay bitten kann, zum Auto zurückzukehren und mich auf dem schnellsten Weg wieder nach Phoenix zu befördern,
damit ich einen zweiten Versuch starten kann, um es richtig hinzukriegen, geht die Haustür auf und gibt den Blick auf eine kleine, dunkle Gestalt frei, die von einem Heiligenschein aus Licht umgeben ist.
»Nieta! «, gurrt sie mit einer erstaunlich rauen und tiefen Stimme. Doch so angestrengt ich auch schaue, ich kann nicht mehr erkennen als eine schwarze Silhouette – das Licht hinter ihr scheint zu stark.
Sie tritt auf die Schwelle und steht nun direkt unter der Verandabeleuchtung, so dass ich sie wesentlich deutlicher sehe. Sie hebt eine schmale Hand an die Brust und lässt sie kurz vor dem Herzen flattern, bevor sie sie mir entgegenstreckt. In ihren Augen stehen Tränen. »Nieta «, sagt sie noch einmal, »meine Enkelin. Du bist da!«
Mir ist mulmig. Neben ihrer winzigen Gestalt komme ich mir zu groß und ungelenk vor. Ich sehe ihre Hand auf mich zukommen, weiß aber nicht, was ich tun soll. Es
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