Vom Schicksal bestimmt: Soul Seeker 1 - Roman (German Edition)
Träume von einem Ort außerhalb unseres Selbst kommen, und deshalb hängt man den Traumfänger übers Bett oder ans Fenster, damit er dort wie ein Netz die guten Träume auffängt, die uns leicht durch den Tag bringen, während die schlechten Träume durch das Loch in der
Mitte wandern, damit sie von den Strahlen der Sonne verbrannt werden können. Und die Federn ganz unten …«, sie zeigt auf die Federn, an denen ich ganz unbewusst herumgespielt habe, »… sollen den Atem aller lebenden Geschöpfe symbolisieren.«
Sie wendet sich mir mit vage forschendem Blick zu, als warte sie auf eine bedeutende Enthüllung von mir. Und obwohl ich versucht bin, ihr zu sagen, dass ihr Traumfänger nicht funktioniert – dass er zwar ein hübsches Stückchen Kunsthandwerk sein mag, aber in puncto Funktionalität ein Totalausfall ist, der rein gar nichts dazu beiträgt, die schlechten Träume fernzuhalten –, sind ihre Augen zu freundlich, zu hoffnungsvoll, und so schlucke ich die Worte hinunter und folge ihr stattdessen zum Frühstücken in die Küche.
»Du weißt, dass da ein Stück Fels aus der Wand ragt, oder?« Ich trinke meinen Saft aus und trage das Glas zur Spüle, wo Paloma bis zu den Ellbogen im Seifenschaum steckt. Eine Spülmaschine ist nirgends zu sehen. Ich wollte meine Worte nicht so harsch klingen lassen, aber ich finde es einfach seltsam, dass wir einen ganzen Brunch miteinander verbringen (ohne es zu bemerken, habe ich das Frühstück und sogar das Mittagessen verschlafen), mitsamt einem riesigen Teller voller köstlicher, mit warmem Ahornsirup überzogener Blaumaispfannkuchen, begleitet von verschiedenen biologisch angebauten Beeren direkt aus Palomas Garten, frischgepresstem Saft und einem großen Becher Piñon-Kaffee mit einem so starken Aroma, dass ich immer noch Spuren davon im Raum riechen kann –, ohne den Felsen auch nur mit einem Wort zu erwähnen, bis ich ihn angesprochen habe.
Palomas Lippen verziehen sich zu einem kleinen Lächeln. »Wir sollten die Natur nicht stören. Und wir sollten nie verlangen,
dass sie sich unseren Wünschen beugt. Vielmehr müssen wir lernen, in Harmonie mit ihr zu leben, denn sie schenkt uns viele Gaben.«
O Mann.
Solche Sprüche habe ich schon öfter gehört. Meistens kommen sie von einem Starlet, das gerade mit verklärtem Blick von einem Yoga-Workshop zurückgekehrt ist, der ihr Leben verändern wird. Die neu entdeckte Erleuchtung hält bestenfalls ein paar Wochen an – bis der nächste Fitnesstrend aufkommt.
Doch Paloma ist kein Starlet, obwohl sie – zu ihrer Zeit – ohne Weiteres eines hätte sein können. Falls ich richtig gerechnet habe, muss sie ungefähr Anfang fünfzig sein und ist immer noch hübsch, auf eine unkomplizierte, natürliche Art, mit dem dunklen Zopf, der ihr bis zur Taille reicht, den klaren braunen Augen, der zierlichen Figur und dem Hängerkleid aus dünner Baumwolle, das mich fatal an das aus meinem Traum erinnert, und den bloßen Füßen.
Ich fahre mit den Fingern über den Felsen und staune darüber, wie er einfach so in den Raum ragt, fest und unerschütterlich, und verlangt, dass alles andere sich um ihn einfügt.
Das Haus sieht heute Morgen anders aus, nicht nur wegen des Felsens, den ich zuvor ganz übersehen hatte. Gestern Abend wirkte es so warm und heimelig mit dem brennenden Kamin und den Tischlampen. Doch jetzt kommt es mir einfach vor, beinahe schmucklos. Es gibt ein paar Navajoteppiche, schlichte Holzmöbel, Marmeladengläser mit kleinen Sträußchen aus gelben und violetten Wildblumen und diese seltsamen kleinen Nischen in den Wänden, die allesamt mit Handschnitzereien von verschiedenen Heiligen gefüllt sind.
Doch so klösterlich das Haus auch ist, vermittelt es ein unleugbares Gefühl von Geborgenheit, das ich nicht recht einordnen
kann. Es könnte allerdings etwas mit seiner Größe zu tun haben, denn es ist klein, gemütlich und leicht überschaubar. Es besteht aus dem großen Raum, der Küche und Wohnzimmer in sich vereint, zwei Schlafzimmern – eines für mich, eines für Paloma (und vermutlich auch zwei Badezimmern, da ich mich nicht erinnern kann, dass sie meines benutzt hätte) – und einem weiteren Zimmer am anderen Ende, das eindeutig erst vor Kurzem angebaut wurde. Die kurze, gemauerte Rampe dorthin endet an einer Rundbogentür, auf beiden Seiten eingerahmt von Regalen mit Büscheln von getrockneten Kräutern, Gläsern voller sonderbar aussehender Flüssigkeiten und allem möglichen anderen Zeug
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