Vom Schicksal bestimmt: Soul Seeker 1 - Roman (German Edition)
Unterwelt.« Sie nickt. »Es ist fast immer die Unterwelt beim ersten Besuch. Die Oberwelt ist viel schwerer zu erreichen – selbst für geübte Suchende. Ich habe viele Jahre gebraucht, um dorthin zu gelangen.« Sie sieht mich an. »Und jetzt erzähl mal, wie hast du ihn gefunden?«
Ich sehe auf meine Hände hinab und sage: »Ich bin dem Wind gefolgt.« Ich ziehe ein Bein unter mich, rutsche auf dem Stuhl hin und her und komme mir reichlich albern vor, weil ich so etwas gestehe.
»Und dein Lehrer hat sich dreimal gezeigt?«
Ich nicke. Meine Finger krallen sich so fest um den Stein, dass mir die Hand wehtut. »Allerdings. Aber nur damit du es weißt – wir sind uns nicht zum ersten Mal begegnet. Er ist mir schon einmal in einem Traum erschienen, der nicht gut ausgegangen ist.«
Ihre Augen werden auf eine Weise dunkel und ernst, dass ich weiterrede.
»Um es kurz zu machen, jemand, der mir nahesteht, jemand, den ich wirklich gernhabe – zumindest in dem Traum –, na ja, er ist umgekommen. Und mein Lehrer ist derjenige, der mich gezielt dorthin geführt hat, damit ich diesen Tod mit ansehe. Es ist der Traum, von dem ich dir auf dem Friedhof erzählt habe. Ich habe nur den letzten Teil weggelassen.«
Ihre Augen werden weit, und ihre Hand flattert vor ihrem Herzen hin und her wie ein Kolibri auf der Suche nach Nektar. »Nieta , das ist wunderbar!«, sagt sie, und ihre Augen beginnen zu glänzen. »Das ist mehr, als ich mir je hätte wünschen können, mehr, als ich mir je zu erhoffen gewagt hätte! Und du sagst, der Wind hat dich dorthin geführt?«
Ich runzele die Stirn. Ziehe die Schultern hoch. Ihre Begeisterung und mein Unvermögen, mich klar auszudrücken, ärgern mich. »Jemand ist gestorben , Paloma.« Ich sehe sie unverwandt an. »Von einem Dämon ermordet . Und mein sogenannter Lehrer ist derjenige, der mich absichtlich dorthin geführt hat. Für dich mag es vielleicht dumm klingen, aber der Traum kam mir so real vor, dass ich ihn nicht abschütteln konnte, sosehr ich es auch versucht habe.« Ich fixiere sie mit meinem Blick, flehe innerlich darum, Gehör zu finden, doch trotz all meiner eindringlichen Worte versteht sie es immer noch nicht. Das sehe ich daran, wie ihre Züge weicher und ihre Augen feucht werden.
Sie senkt die Lider, bevor sie zu sprechen anhebt. »Träume dürfen nicht immer wörtlich genommen werden, nieta . Manchmal ist der Tod nur eine Metapher für die Wiedergeburt. Er lässt die alte Version eines Menschen verschwinden, damit eine neuere, bessere, stärkere Version an ihre Stelle treten kann.« Sie sucht meinen Blick. »Wenn dich dein Lehrer dorthin geführt hat, dann hatte er sicher einen Grund dafür. Aber es gibt nur einen Weg, um sicherzugehen, dass er dein Lehrer ist – hast du den Stein noch, den ich dir gegeben habe?«
Ich löse die Faust und zeige ihn ihr. Verdrossen sehe ich zu, wie sie ihn zu der Kochplatte hinüberträgt und mir bedeutet, mich zu ihr zu gesellen. Sie wirft den Stein erneut in den Topf, bringt die Flüssigkeit zum Kochen und starrt mit einer unendlichen Geduld, die mir unbegreiflich ist, in das trübe Gebräu aus Heilkräutern.
Sie murmelt etwas auf Spanisch und presst sich dabei die zur Faust geballte Hand aufs Herz. Und obwohl ich direkt neben ihr stehe und in den Topf schaue, kann ich beim besten Willen nicht erkennen, wovon sie so begeistert ist.
Kurz darauf greift sie nach dem Sieb und gießt das heiße Wasser in die Spüle. Dann stellt sie den Topf auf die Arbeitsfläche und dreht sich zu mir um. »Ist es das, was du gesehen hast? Ist das der Lehrer, den du auf deiner Reise getroffen hast?«
Ich lehne mich über ihre Schulter und erwarte, nichts Besonderes zu sehen. Schockiert schnappe ich nach Luft, als ich feststelle, dass der kleine schwarze Stein sich zu einem Raben verformt hat. Seine Flügel sind klar gezeichnet, und seine Augen glitzern violett.
»Ist das der Lehrer, den du gesehen hast?«
Ich schlucke. Nicke. Mehr bringe ich nicht zu Stande. Der Anblick macht mich sprachlos.
Ich starre den zum Raben gewordenen Stein an und weiß, es kann eigentlich nicht wahr sein, und doch ist es so und liegt hier direkt vor meinen Augen. Er erinnert mich an die Tierfetische aus Stein, die ich einmal in einem Andenkenladen in Arizona gesehen habe – auf Hochglanz poliert und aufwändig handgeschnitzt von den Zuñi-Indianern, waren sie dem Stein hier aus dem Topf sehr ähnlich.
»Wir haben alle ein Tier als Leitfigur – jeder von uns.«
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