Vom Schicksal bestimmt: Soul Seeker 1 - Roman (German Edition)
Platz an ihrer Seite zu beanspruchen.
Ich greife nach meiner Tasche, krame die Kreidestückchen heraus, die Paloma hineingeworfen hat, und lasse viel Platz zwischen Palomas und meinem Namen, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass Django fehlt. Ich bin nämlich zu dem Schluss gekommen, dass dafür die freien Stellen gedacht sind, von denen ich aber zu meiner Erleichterung lediglich zwei gezählt habe.
Ich beiße mir auf die Lippe und bemerke, dass mein frischgeschriebener Name, wie er hier so steht, ohne den Zusatz »Santos«, merkwürdig isoliert wirkt. Aber es kommt mir dann doch zu verwegen vor, es jetzt einfach so hinzuzufügen. Ich habe den Namen nie getragen. Jennika und Django waren nicht verheiratet, weil sie nicht mehr dazu gekommen sind, und deshalb heiße ich seit jeher Daire Lyons – der Familienname von Jennikas Seite.
Ich umfasse die Kreide fester und beginne mit einem »S«, aber ich komme nicht über die erste Kurve hinaus. Ich kann nicht Lyons schreiben – und Santos auch nicht. Im Moment bin ich nur Daire, ein Mädchen zwischen zwei Stammbäumen.
Den einen bekam ich geschenkt, den anderen muss ich mir verdienen.
Wenn ich das hier überstehe, füge ich ihn hinzu. Wenn nicht, werden mein Vorname und Rabe meine einzige Hinterlassenschaft sein.
Nicht dass nach mir noch irgendjemand hier hereinkäme. Falls ich diese Visionssuche nicht überlebe, gibt es keinen Nachfolger mehr. Laut Paloma bin ich die Letzte.
Ich lasse mir Zeit beim Zeichnen des Raben, forme spitz zulaufende Flügel, einen gebogenen Schnabel, einen eckigen Schwanz, lange, schwarze Krallen und glitzernde violette Augen. Dann lehne ich mich zurück, um mein Werk zu bewundern, und sage mir, wenn schon sonst nichts da ist, wird mir wenigstens diese Wand Gesellschaft leisten.
Endlich trifft meine irische Seite auf meine hispanische Seite. Ich bin mal gespannt, wie die beiden miteinander auskommen.
Ich erwäge, noch ein paar Schnörkel hinzuzufügen, um mir die Zeit zu vertreiben, doch es ist nur ein flüchtiger Gedanke, den ich rasch verwerfe. Er erscheint mir nicht richtig – ja, fast respektlos. Es ist, wie Chay gesagt hat: Das hier ist ein heiliger Ort. Irgendwelche unpassenden Kritzeleien wären nichts als Geschmiere.
Ich stehe auf. Drehe noch eine Runde. Auf der Suche nach irgendetwas, das ich beim ersten Mal übersehen haben könnte. Aber letztlich drehe ich mich nur im Kreis herum. Abgesehen von der langen Namensliste gibt es hier nicht viel. Nachdem ich schließlich ein paar Stretching-Übungen und ein paar Yoga-Positionen durchgemacht habe, die mir mal eine Haarstylistin auf einem Filmset gezeigt hat, werfe ich einen Blick nach draußen, sehe aber nichts Besonderes. Also lasse ich mich in der Mitte der Höhle nieder und tue das, was
Chay mir empfohlen hat: ganz ruhig und still dasitzen und warten, bis etwas passiert – bis eine umwälzende Offenbarung eintritt.
Schon nach wenigen Minuten werde ich hungrig und unruhig und langweile mich. Ich bin nicht gut im Meditieren und auch nicht im Stillsitzen, es sei denn, ich habe ein gutes Buch. Also greife ich nach der schwarzen Tasche, drehe sie um und leere ihren Inhalt vor mir aus. Darin finde ich das kleine Streichholzbriefchen, die dünne weiße Kerze, das rote Kopftuch, die drei Kreidestücke, ein Gläschen von dem körnigen Salz wie das, aus dem die Grenzlinie besteht, die kleine Rohleder-Rassel und ein gefaltetes Blatt Papier. Ich sehe erneut in die Tasche, kehre ihr Innerstes nach außen und schüttele sie heftig, doch das scheint alles zu sein.
Kein Wasser.
Nichts zu essen.
Offenbar meint es Paloma ernst mit dem reinigenden Fasten.
In der Hoffnung auf ein paar erbauliche Worte falte ich das Blatt auseinander und lese:
Liebe Nieta,
es gibt nur wenige, ganz einfache Anweisungen:
Verlasse die Höhle nicht, ehe es Zeit ist.
Überschreite aus keinem Grund die weiße Linie, es sei denn, du bist dir absolut sicher, dass es das Richtige ist.
Nutze deine Vorräte sparsam – sie müssen den ganzen Zeitraum deiner Visionssuche über reichen.
Suche die Wahrheit.
Suche das Licht.
Löse deine Bindung an alte Einstellungen ebenso wie an
alte Überzeugungen und Ideen, damit du Platz für dringend nötige neue Einsichten hast.
Sei ruhig, reduziere deine Aktivitäten auf ein Minimum und tu dein Möglichstes, um eine Verbindung zum Berg aufzubauen.
Wenn der Berg dich akzeptiert hat – dich angenommen hat –, wirst du es wissen.
Aber bitte sei dir dessen bewusst, dass der
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