Vom Schicksal bestimmt: Soul Seeker 1 - Roman (German Edition)
besteht – das Produkt trügerischer Träumereien und abgedrehter Fantasien.
Er hat keine Gewalt über mich.
»Du und ich, wir sind nicht wie die anderen«, sagt er im Versuch, mich zu überzeugen. »Wir dürfen nicht wählen. Unser Weg ist vorgezeichnet. Es ist unsere Bestimmung, ihm zu folgen – der Aufgabe gerecht zu werden.«
Ich mustere ihn, beginne bei seinen schwarzen Schuhen, an seinen langen Beinen und dem eleganten V seines Oberkörpers entlang, bis hin zum breiten Rechteck seines Brustkorbs. Gierig sauge ich jeden Quadratzentimeter in mich auf, bis ich bei seinen
Augen angelangt bin und begreife, dass es mir reicht, wenn ich dort so lange wie möglich verweilen kann. Seine Worte hallen in meinem Kopf wider. »Wir?«, sage ich schließlich. »Bist du auch ein Suchender?«
Er fährt sich mit einer Hand übers Kinn und wendet sich rasch ab. »Du und ich sind die Letzten unserer Familien«, sagt er ausweichend.
Ich verziehe grimmig den Mund und zwinge mich wegzusehen und mich auf die hinter mir feixenden Ungeheuer zu konzentrieren. Der Junge kennt mich nicht, weiß nicht, vor welcher Herausforderung ich stehe. Weiß nicht, dass es viel besser für mich – und viel besser für alle wäre, wenn ich meine Niederlage eingestehen und nach Hause gehen würde.
Nach Hause.
Wo auch immer das ist.
Außerdem – wenn das hier nur ein Traum ist, wie ich glaube, was für eine Rolle spielt es dann schon? Was macht es schon, wenn ich mir ein bisschen Erleichterung verschaffe?
Ich hole tief Luft. Versuche, mich an ihm vorbeizudrängen. Meine Schuhspitze stößt an die weiße Linie, die den Eingang markiert, als sich sein Blick auf meinen heftet und er sich mir erneut in den Weg stellt.
»Es ist ein Traum!«, schreie ich genervt. »Du bist ein Phantom – eine Fantasiegestalt –, genau wie die da!« Ich zeige auf die Dämonen. »Also tu uns beiden einen Gefallen und lass mich hier raus.«
Er schüttelt langsam den Kopf, während seine Augenwinkel nach unten sinken. Die plötzliche Veränderung weckt in mir den Wunsch, alles zurückzunehmen, meine Worte ungesagt zu machen, nur um ihn wieder lächeln zu sehen. »Das kann ich nicht zulassen«, sagt er. »Alles, was hier geschieht – ob im Traum oder im Wachen –, all das gehört zur Prüfung. Die Handlungen, für die du dich entscheidest, haben beträchtliche Konsequenzen. Du musst
das Trugbild von der Wahrheit unterscheiden. Das ist der einzige Weg zum Erfolg.«
»Du bist das Trugbild!«, schreie ich, begierig darauf, an ihm vorbeizukommen und von diesem Ort erlöst zu sein. »Es ist alles ein Trugbild! Ich will nur frei sein! Warum lässt du mich nicht?«
Er unterbricht meine Tirade, indem er mir einen Finger unters Kinn presst, mein Gesicht zu seinem hebt und mich an sich zieht. Unsere Lippen nähern sich, treffen sich. Die erste Berührung zögerlich und unsicher, doch schon bald geht unser Kuss in etwas viel Tieferes über – etwas, in dem eine unausgesprochene Verheißung mitschwingt, gekrönt von Hoffnung.
Etwas, an dessen realem Vorhandensein ich keinen Zweifel hege.
Er lässt seine Hand auf meine Schulter gleiten, senkt sie in das Tal in meinem Ausschnitt hinab und umfasst das weiche Wildlederbeutelchen auf meiner Brust. »Sie wollen das hier haben«, sagt er. »Und vor allem wollen sie deine Niederlage sehen.« Sein Blick ist eindringlich, seine Stimme eine leise geflüsterte Warnung. »Lass sie nicht gewinnen.«
Ich presse mich fest an ihn. Seine Berührung ist unwiderstehlich, magnetisch. Ich kann nicht den kleinsten Abstand zwischen uns ertragen. Doch ich werde aufgehalten, als er mich fest an den Schultern packt und mich gegen den Widerstand meiner Füße ein gutes Stück weit hinter die weiße Linie drängt und erst zufrieden ist, als ein großer Raum zwischen uns klafft.
»Du musst bleiben, bis es vorüber ist. Du musst es durchstehen. Es ist alles ein Trugbild, alles außer dem hier jedenfalls …« Er lehnt sich über die Grenzlinie und küsst mich erneut. Seine Berührung ist leicht, flüchtig, lässt mich aber dennoch atemlos zurück.
Und dann stehe ich da und starre ins Dunkel, während die Worte dort nachhallen, wo er soeben noch gestanden hat: »Wir zählen alle auf dich …«
Einundzwanzig
I ch erwache erneut.
Zum zweiten Mal. Oder ist es schon das dritte Mal? Ich weiß es nicht mehr.
Die Zeit ist so ungreifbar, so flüchtig geworden – der Tag wird zur Nacht, und die Nacht wird wieder Tag. Rätselhafte dunkle und
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