Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen
eine Busladung Camino-Touristen belästigt.
Jedenfalls beginnt Blondine, mich ohne Umschweife anzuflirten. Prinzipiell habe
ich nichts dagegen einzuwenden, würde unser zartes Anbandeln nicht gleich von
knapp zwanzig Zuschauerinnen und Zuschauern verfolgt. Außerdem erachte ich es
als mäßig clever, gleich den allerersten freundlich gesinnten Pilger auf einem
christlichen Pfad anzugraben. Aber vielleicht sind gerade solche Charaktere
anfällig für Buspilgerfahrten. Aus Rücksichtnahme vor meiner eigenen Toleranz
lasse ich die Hardcore-Alpinisten quakend und tratschend davonfliegen,
schließlich wollte ich doch heute ein wenig allein sein.
Für etwa eine Stunde bin ich es
dann auch, bis ich auf dem Gipfel des Hügels zwischen Itero de la Vega und
Boadilla del Camino unseren Newbie Marcos entdecke. Seit einer halben Stunde
hockt er dort zwischen den mickrigen Bäumchen und macht »lunch«, wie er
mir erklärt. Englisch mit spanischer Färbung ist sensationell. Wobei er keinen
typisch spanischen Akzent spricht, sondern einen britisch-niederländischen mit
spanischem Einschlag. So etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht
gehört, meine Ohren freuen sich jedenfalls. Mir fallen direkt drei Freundinnen
ein, die bei Marcos dahinschmelzen würden. Zwei von ihnen sind nicht einmal
Single. Erfreulicherweise teilt er mir mit, dass er sich fit genug fühlt, um
mich nach Frómista zu begleiten. So legen wir die letzten knapp zehn Kilometer
gemeinsam zurück. Während unseres Gesprächs erfahre ich, dass er in Madrid
geboren ist und in Valladolid Architektur studiert. Ein kommender Sir Norman
Foster also. Hart für ihn, sich all die architektonischen Bausünden entlang des
Camino ansehen zu müssen.
Kurz vor Bocadillo City
beschreibe ich den Flyer, den ich vorhin erhalten habe, mit dem Text: »We
are here! Maori + Marcos«, und lege ihn am Straßenrand ab. Eine
übliche Kommunikationsmethode auf dem Camino, weshalb man häufiger irgendwo auf
Betonwegweisern oder ähnlichen Stellen beschriebene, mit Steinen beschwerte
Zettelchen findet. Zwischen Boadilla del Camino und dem Etappenziel Frómista laufen
wir sechs Kilometer am historischen Canal de Castilla entlang. Es ist ungemein
heiß, und wir überlegen, einfach ins kalte Nass zu springen, inklusive der
Inkaufnahme des sicheren Todes. Nach dem Abwägen von Für und Wider ziehen wir
es vor, lieber in der neuen Herberge von Frómista zu enden als aufgedunsen in
der Gerichtsmedizin von Burgos.
Die letzen Kilometer gestalten
sich, ich habe es ehrlich gesagt nicht erwartet, hart und monoton. Im Grunde
laufen wir die ganze Zeit an diesem dämlichen Kanal entlang, an dessen Wasser
wir nicht heranreichen und auf dem sich überhaupt nichts Unterhaltsames tut.
Dieser Kanal ist total langweilig! Außer uns ist um diese Uhrzeit natürlich
keine Menschenseele mehr unterwegs. Erst nach einer qualvollen Stunde erreichen
wir die alten Wehranlagen vor Frómista, kurz darauf befinden wir uns an einer
belebten Kreuzung, an dem sich ein mir bestens vertrauter österreichischer
Pilgerhaufen in einen klimatisierten Reisebus quetscht. In Frómista leben laut
meinem Wanderführer keine tausend Menschen. Allerdings tut der Ort so, als
lebten hier mindestens dreitausend Leute. Der Nachteil an der Sache: Um von A
nach B zu kommen, muss man unnötig große Distanzen zurücklegen. Der Vorteil: Es
gibt Banken und Geschäfte. Endlich komme ich an meine hart verdienten
Scheinchen. Nachdem ich mich also mit Cash ausgestattet habe, laufen wir zur
privaten Herberge, die mir von dem unbekannten Mann am Straßenrand empfohlen
wurde. Und siehe da, die albergue »Estrella del Camino« ist wirklich
sehr nett. Von außen wegen einer schinkenfarben gestrichenen Mauer wenig
einladend, betritt man sie durch eine kleine Holzpforte und gelangt auf eine
liebevoll gepflegte Insel der Ruhe. Nachdem wir unsere Schuhe ausgezogen und
unsere Stempel erhalten haben, werden wir in den Schlafraum geführt, der wie
die gesamte Herberge in warmen Farbtönen eingerichtet ist. Hier stehen zehn
Stockbetten nebeneinander, durch eine Trennwand in zwei Fünfergruppen
unterteilt. Zeit fürs alltägliche Ankunftsritual: Bett mit dem Schlafsack
belegen, duschen, Wäsche waschen, zum Trocknen aufhängen, nach draußen setzen
und etwas Eiskaltes trinken. Hier bereitet das Sitzen besonders viel Freude,
denn die Herberge umschließt einen kleinen, begrünten Garten mit
Sitzgelegenheiten.
Einzig die zahlreichen Fliegen
nerven ein wenig,
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