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Vom Schlafen und Verschwinden

Vom Schlafen und Verschwinden

Titel: Vom Schlafen und Verschwinden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hagena
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einem blauen Rankenmuster und einer blauen Kordel, aber Anfang der Achtzigerjahre begann sich Heidrun für ihre Verschämtheit zu schämen, zumal sie merkte, dass die anderen Mütter keine Schläuche mehr benutzten. Sie gewöhnte sich an, den Bikini schon zu Hause anzuziehen. Und nach dem Baden machte sie eben schnell. Das ging ganz gut ohne Schlauch, weil man viel mehr sah.
    Aus unserem Schlauch schnitt sie zweiundfünfzig Wischlappen. Wir benutzen sie immer noch.
    Ich zeigte Benno, wo einst der hölzerne DLRG – Turm gestanden hatte, auf dem aber glücklicherweise niemals jemand von der DLRG gesessen hatte. Er hätte dort oben sofort einen Sonnenstich bekommen und gerettet werden müssen. Der Turm war weg, der Wald fast bis zur Wasserkante vorgerückt, die Bäume standen so hoch, dass kaum noch Sonne auf diesen Teil des Sees fiel. Der Geruch des Bärlauchs hing schwer im grünen Dickicht.
    Es wurde dunkel. Im See platschte es, erst dachte ich, es sei ein Fisch, dann platschte es wieder und schließlich noch einmal. Das Schilf wackelte, knackte und raschelte. Wir sprangen von den Rädern, legten sie auf den Boden und liefen die paar Schritte hinunter ans Wasser. Benno zog scharf die Luft ein, und da sah ich es auch. Im Schilf hockten dicke Frösche dicht an dicht. Manche lagen im Wasser, und Teileihres Kopfes und Rückens ragten über die Wasseroberfläche hinaus. Andere saßen zwischen den Stängeln, die sich in ihre fetten Leiber drückten und sie noch praller erscheinen ließen.
    – Ochsenfrösche!
    Benno schrie fast, aber die braungrünen Tiere blieben ungerührt an ihren Plätzen.
    – Ja. Ich weiß. Sie sind schon seit Jahren hier. Als ich noch hier wohnte, gab es sie nicht, aber kaum war ich weg, waren sie da. Sie fressen alles, andere Frösche, Vogeleier, Küken, Fische, Enten.
    – Enten?
    – Ja, wirklich. Sie haben eine Ente in einem Frosch gefunden. Nachts fischen die Leute vom Anglerverein die Kaulquappen ab.
    – Die Kaulquappen, wie groß sind die wohl?
    Ich zog Daumen und Zeigefinger so weit auseinander wie ich konnte.
    – Die, die ich gesehen habe, waren ungefähr so.
    Benno schaute angewidert auf meine Hand. Ich steckte sie in die Tasche meines Rocks.
    – Es gab Jahre, da glaubten die Leute hier, die Frösche seien endlich verschwunden, aber sie kamen immer wieder. Sie haben keine Feinde, jedenfalls keine, die sie fürchten müssten, und sie fressen die ganze Fauna auf. Viele Baggerseen der Umgebung sind miteinander verbunden, sodass sie demnächst vielleicht das ganze Gebiet am Oberrhein verwüsten können. Und du kannst dir nicht vorstellen, was sie für einen Lärm machen. Keiner weiß, welcher Irre sie hier ausgesetzt hat. Sie sind eine Plage.
    Benno nickte.
    – Ein Fluch.
    – Von mir aus, ein Fluch. Einer, den niemand mehr restlos aufheben kann.

    – Kein Fluch ist restlos aufzuheben.
    – Kennst du dich aus mit Flüchen, Benno?
    Er lachte.
    – Gottverdammte Scheiße, ja!
    Wir fuhren einmal ganz um den See herum und dann weiter hinunter zum Fluss.

10.
    Dienstag, 24. September,
    Ellen und Benno 8 Minuten zu spät, danach alle da.
    Come Heavy Sleep, Lachrimae-Motiv und Refrain.
    Besser zählen, durchlässiger singen.
    Wir üben die zweite Strophe, Komm Schatten meines Endes, Umriss meiner Ruhe.
     
    Nach all diesen Jahren, in denen ich bei jedem Klingeln hoffte, er würde plötzlich vor der Tür stehen, in denen ich Vermisstenanzeigen aufgegeben habe, in denen ich Geld, das ich für ihn gespart hatte, an private Detektivbüros überwies, bin ich grau und dünn geworden. Verhärmt, harmlos nicht. Ich habe es sogar mit Gott versucht, habe gebetet, er möge ihn mir wieder zurückschicken, er kannte sich doch aus mit verlorenen Söhnen. Nichts.
    Und jetzt wohne ich seit Ludwigs Tod in diesem Dorf, in dem Lutz zuletzt gesehen wurde. Er hat einen Abschiedsbrief auf Ludwigs Esstisch liegen lassen. Den Brief trug mein gewesener Mann immer bei sich, jetzt habe ich ihn. Nicht gerade der Abschiedsbrief eines Selbstmörders, eher der eines Verdrückers. Aber Selbstmörder sind ja letzten Endes auch Verdrücker.
    »Ich halte es nicht mehr aus hier. Das hat nichts mit Dir zu tun. Ich habe ein paar Probleme und brauche etwas Abstand, um herauszufinden, was ich will und wer ich bin. Danke und bis bald. Dein Lutz.«
    Was könnten seine Probleme gewesen sein, habe ich mich gefragt, immer und immer wieder. Ich habe nach ihm Ausschau gehalten, bis mein Hals dünn und faltig wurde. Ich habe versucht, seine

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