Vom Tod verführt: Roman (German Edition)
musste man sie lehren, keine Magie zu benutzen– waren noch viel seltener. » Sie konnte hellsehen. Wenn sie ein Objekt berührte, war sie in der Lage, dessen Vergangenheit zu sehen und manchmal auch die Zukunft.«
John öffnete die Akte, die er umklammert hielt, und notierte etwas. Er zuckte zusammen, als sich Bethanys Schreie um eine Oktave hinaufschraubten. Bald würde jedes Glas ringsum zerspringen. » Was stimmt nicht mit ihr? Mach irgendwas, dass es aufhört.«
» Schweig!«, befahl ich dem Schatten, doch das Kreischen hielt unvermindert an. Es war meine Magie, die ihr Form verlieh, ihr eine Stimme gab. Sie hätte meinem Kommando gehorchen müssen, hätte gar keine andere Möglichkeit haben dürfen. Offensichtlich hatte ihr das niemand gesagt.
Okay, dann versuchen wir es auf eine andere Weise. » Wie lautet dein Name?«
Bethanys Schatten schrie weiter. Ihre Hände flogen zu ihrem Gesicht, zerrten an ihren Augen. Ich packte ihre durchscheinenden Handgelenke, zog sie herab. Bethany wehrte sich.
» Alex?« John trat näher.
Die Schutzbarriere schwankte, als John sie durchbrach, und ein Schauder der Macht kroch über meine Haut. Der Kreis sollte fremde Magie fernhalten, nicht John, der magisch so taub war, wie man nur taub sein konnte. Vermutlich empfand er nicht das Geringste. Ich aber spürte die Störung bis in meine Knochen. Ich hielt den Atem an, voller Sorge, dass die bereits geschwächte Barriere brechen würde.
Ich schwankte, und dem sich windenden Schatten gelang es, sich aus meinem Griff zu befreien. Bethany schlug nach mir, ihre spitzen Fingernägel schnitten wie Klingen durch die Luft.
Ich sprang zurück. Der bröckelnde Zement bewegte sich unter meinen Sohlen, raubte mir das Gleichgewicht. John fing mich auf, bevor ich fiel, und der nächste Schlag des Schattens ging durch ihn hindurch, traf meine Schulter. Meine Haut riss auf, drei Kratzer zeigten sich.
» Was zum Teufel…« John wirbelte herum, um Bethany zu packen.
Ein nutzloser Versuch. Seine Finger glitten durch ihr Handgelenk.
Sie holte erneut aus, ich wich zurück. Das ist nicht normal. Ich durchschnitt den Fluss der Magie, die ihr Form verlieh, und ihre Augen traten fast aus den Höhlen. Der kalte Wind schlug zu mir zurück, doch Bethany verblasste nicht. Ich schob sie mit purer Willenskraft von mir. Ihr Kreischen schraubte sich höher, brach dann mit einem letzten, nachklingenden Ton ab, als der Schatten im Leichensack verschwand. Das plötzliche Schweigen klang in meinen Ohren.
Gierig sog ich Luft ein. Wann habe ich aufgehört zu atmen? Die Kratzer auf meiner Schulter brannten, und ich drückte meine Hand dagegen. Fühlte etwas Feuchtes. Ich zog die Hand zurück und starrte darauf. Drei schmale blutige Streifen zogen sich über die Innenseite.
Neben mir stieß John den Atem aus. » Wieso hat sie sich so benommen?«
Mist. » Ich weiß nicht. Schatten dürften eigentlich niemanden angreifen. So real sind sie nun auch wieder nicht, und auch nicht so… so emotional.« Ich schüttelte den Kopf. » Sie kennen nur Erinnerungen. Keinen Willen. Keinen Schmerz…« Zumindest hatte man mir das so beigebracht. Ich blickte zu dem schwarzen Sack hinüber. Darin war alles still. Nichts bewegte sich mehr.
Ich wischte meine Hand an meiner Jeans ab. Später am Abend würde ich einige E-Mails verschicken. Vielleicht wusste jemand im Forum des Dead Club, was schiefgelaufen war; ich jedenfalls hatte noch nie davon gehört, dass ein Schatten schrie wie verrückt.
Ich wandte mich dem anderen Leichnam zu.
Da dachte ich noch, dass es ein Leichnam wäre, obwohl er sich in meiner Wahrnehmung nicht so anfühlte. Ich kniff die Augen zu einem schmalen Spalt zusammen. Die richtige Form zumindest hatte er. Ein eiskalter Schweißtropfen floss mein Rückgrat hinunter. Ich langte mit meiner Magie nach Coleman, meine Hände schwebten über dem Laken. Meine Kraft glitt über seinen Körper– oder was immer es war–, ohne ihn zu berühren.
Das ist echt merkwürdig. Ich biss mir auf die Lippe und setzte nun meinen Sinn ein, der mich zu den Toten zog.
Nichts.
Der Pegel der Kraft in meinem Kreis stieg an, und ich bekam eine Gänsehaut. Mein Kopf schoss hoch, als der Geist gegen meine Barriere prallte. Er trat zurück und rammte dann seine Schulter ein weiteres Mal in den Schutzwall. Grüne und blaue Lichtfunken zuckten auf, explodierten an dem magischen Schild.
Das war nicht unbedingt das, was ich jetzt gebrauchen konnte.
Ich zapfte die wenige Magie an,
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