Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein
entscheidenden Stellen â den falschen â zu eng. Es sah aus wie jedes andere Kleid, durchschnittlich, langweilig. Doch sie hatte keine Zeit, sich noch einmal umzuziehen. Sie wickelte sich in eine groÃe Stola und hoffte, dass es niemandem auffallen würde.
Was sie auch noch bemerkt hatte, war, dass die Gäste, die zum Einchecken an die Rezeption des Hotels traten, in dem sie arbeitete, sie nicht mehr wahrzunehmen schienen. Früher hatte sie immer dieses gewisse Interesse gespürt, ein Blitzen in den Augen der Männer. Doch das war offenbar vorbei. Wegen ein paar Fältchen? Sie legte immer noch gröÃten Wert auf ihr ÃuÃeres. Um die Hüften herum hatte sie etwas zugelegt, obwohl sie regelmäÃig ins Fitnessstudio ging. War es deswegen? Wer weiÃ. Und jetzt auch noch die Wechseljahre.
Sissi war eine vernünftige, eine intelligente Frau. Sie wusste, wo sie stand. Wie alles in ihrem Leben nahm sie die Wechseljahre mit Humor, mit einer Art Lebensklugheit. Sie hatte eine Menge über das Thema gelesen, hatte mit ihrem Gynäkologen gesprochen und Hormonpillen geschluckt, bis sie spürte, dass sie auch ohne diese Hilfe mit den Gemütsschwankungen und Hitzewallungen fertigwurde. Sie war entschlossen, kein Drama daraus zu machen, und es schien ihr zu gelingen. Dachte ich zumindest.
Doch nun lag sie da auf meinem Sofa. Zusammengekrümmt wie ein Embryo lag sie da und weinte, weinte, weinte. Ich hatte ihr statt des Kaffees ein Glas Wein gebracht, in der Hoffnung, sie ein wenig zu trösten, aber der Alkohol verstärkte nur den Sog des Elends, der an ihr zerrte.
»Kannst du dir eigentlich vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn irgendein Idiot, der sich unheimlich witzig vorkommt, fragt: Na, wie fühlt man sich denn so nach einem halben Jahrhundert?« Noch mehr Tränen. »Ich spüre es ganz deutlich, es ist alles vorbei. Mein Leben ist vorbei«, schluchzte sie, »von nun an gehtâs bergab. Ich werde immer schlimmer aussehen, bis ich irgendwann deswegen gefeuert werde. Die Kinder sind aus dem Haus. Dirk flirtet mit diesem Mädchen â wer weiÃ, ob er nur flirtet. Und dann? Was kommt dann? Rente und Rückenschmerzen. Bald bin ich eine alte Frau, eine Rentnerin, die von niemandem mehr wahrgenommen wird.«
Unfassbar. Sissi war fünfzig und redete, als wäre sie zehn, zwanzig Jahre älter. Ich kannte diese Verzweiflung, diese Hilflosigkeit nur von Frauen, die wesentlich älter waren, Frauen ab sechzig, Frauen um die siebzig. Sissi war zwanzig Jahre jünger. Zwanzig Jahre jünger als ich.
Nicht jede von uns durchlebt eine solche Krise, doch in einer Zeit, in der das Altern von Frauen immer weniger mit dem zu tun hat, was sich die Menschen im Allgemeinen darunter vorstellen, kann man auch nicht mehr von Ausnahmen sprechen. Ich weià nicht genau, warum sich Sissi gerade mir anvertraute. Ja, sie war eine gute Freundin, wir kannten uns seit vielen Jahren, aber sie hatte andere, gleichaltrige Freundinnen, die ihr näherstanden. Vielleicht lag es gerade an meinem Alter, vielleicht hatte es damit zu tun, dass ich selbst in den letzten zwanzig Jahren eine Menge durchgemacht hatte. Vielleicht wusste sie auch, dass ich zu dem Thema einiges zu sagen hatte, auch wenn ich noch nie darüber geschrieben hatte.
Ich nahm es als Kompliment. Und suchte weiter nach Taschentüchern. Was sollte ich denn nun sagen? Wie könnte ich ihr helfen? Also: die Wechseljahre. Klar, dass sie ein bisschen emotionaler war als sonst, dass sie nicht recht wusste, wohin mit sich. Doch was sie sagte, war nicht von der Hand zu weisen, ihr Problem war echt, ich konnte es nicht abtun. Die meisten Frauen stellen irgendwann überrascht fest, dass sie älter werden, und je älter sie sind, desto offensichtlicher ist ihr Problem. Wir haben vom Altern völlig überholte Vorstellungen, das macht es so absurd. Als Gesellschaft treten wir uns quasi selbst auf die FüÃe. Wir werden immer älter, sind aber nicht bereit, uns darauf einzustellen. Stattdessen stakst eine Parade von Models über die Bildschirme, die wir bewundern und nachahmen sollen. Die merkwürdige Einstellung der Gesellschaft zum Alter hat sich nicht geändert, sie hat sich sogar verfestigt. Alte Menschen, besonders alte Frauen, werden schlicht nicht wahrgenommen. Sie kommen nicht vor. Kaum einer kann sich den längst überholten Vorurteilen entziehen, die alte Menschen als
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