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Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein

Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein

Titel: Vom Vergnugen eine altere Frau zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clough Patricia
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Frauen vorstellen oder mir von ihnen erzählen, Freundinnen, Bekannte, denen es ähnlich ergangen war. Ich versprach im Gegenzug, dass ich mich in das Thema einarbeiten und Frauen interviewen würde, die den traditionellen Erwartungen nicht entsprochen haben, die aus dem letzten Lebensabschnitt etwas Besonderes gemacht haben. Einige kenne ich gut, andere muss ich noch finden. Ich hatte sowieso vor, einige Monate in Berlin zu verbringen. Wir würden uns regelmäßig treffen und sehen, wie weit wir gekommen waren.
    Aus unserem nächtlichen Pakt ist dieses Buch entstanden.
    * Sissi und einige andere Frauen möchten nicht unter ihrem vollständigen Namen in diesem Buch erscheinen. Deshalb werden viele nur mit Vornamen genannt, die teilweise auch frei erfunden sind. Andere wiederum haben mir erlaubt, ihre vollen Namen zu verwenden.

2
ANDERS ALTERN
    Â»Habe ich dir eigentlich mal erzählt, dass meine Mutter meinen Vater verlassen hat? Das war 1979, genauer gesagt am 5. Dezember 1979. In ihren Siebzigern ist sie mit einem anderen Mann durchgebrannt, einem achtzigjährigen Witwer.«
    Sissi, die es sich einige Tage später erneut auf dem Sofa bequem gemacht hatte, wäre beinahe auf den Boden gerutscht. »Durchgebrannt ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck«, fuhr ich fort. »Sein Häuschen lag an derselben Straße, ein paar hundert Meter weiter. Sie ist einfach rübergezogen.«
    Â»Und was haben die Leute gesagt?«, fragte Sissi. »War das nicht ein Skandal?«
    Â»Na ja, ein paar haben die Nasen gerümpft, und es gab einige unangenehme Situationen. Kein Wunder in so einem kleinen Dorf. Aber die beiden waren glücklich miteinander, bis zum Schluss.«
    Â»Und dein Vater?«
    Â»Der war auch glücklich. Er lernte kochen. Er hat sich sogar noch einmal verliebt, geheiratet haben sie aber nicht. Und er hatte zum Schluss ein viel besseres Verhältnis zu seinen Kindern und Freunden. Vielleicht haben die Leute im Dorf das letztendlich so akzeptiert, weil es nicht zum ersten Mal in der Gegend passiert war. Dabei war es nur ein Weiler, hundertfünfzig Leute in ein paar Häusern in Nordengland. Einer aus dem Dorf, ebenfalls in dem Alter, hatte seine Frau verlassen und eine neue, auch schon deutlich gereifte Liebe gefunden. Und gerade erst war ein Paar zugezogen, die beide gerade erst ihre Ehepartner verlassen hatten, um den Lebensabend gemeinsam verbringen zu können. Damals glaubten wir alle, dass die Häufung von Altersliebschaften in der winzigen Gemeinde ein bizarrer Zufall sein musste. Wir haben uns darüber lustig gemacht: Bestimmt irgendwas im Trinkwasser. Aber weißt du, Sissi, das stimmt nicht. Es lag nicht am Wasser. Das war schon der Beginn von etwas Neuem, damals.«
    Das konnten meine Eltern und ihre Nachbarn natürlich nicht wissen. Sie sahen nicht, dass sie am Anfang einer gigantischen, beinahe tektonischen Verschiebung der Lebensverhältnisse standen. Doch nun, drei Jahrzehnte später, ist der letzte Zweifel ausgeräumt: Die sieben Lebensalter, die Shakespeare besungen hat, sind auf wundersame Weise durcheinandergeraten. Noch nie haben sich ältere Menschen so jung gefühlt, noch nie haben sie so gut ausgesehen. Sie leben länger als jede Generation zuvor. Noch vor hundert Jahren konnte der Durchschnittsmensch nicht erwarten, seinen vierzigsten Geburtstag zu erleben. Jetzt werden wir im Schnitt beinahe achtzig Jahre alt. Dabei ist das Leben nicht wie eine Schnur, die einfach Stück um Stück verlängert wird. Eher schon wie ein Gummiband, das sich gleichmäßig, über die ganze Länge auseinanderziehen lässt. Wenn es also heißt, dass sechzig das neue vierzig ist oder auch siebzig das neue fünfzig, dann kann man das durchaus ernst nehmen.
    Wann ist man eigentlich alt?, fragten wir uns. Wann fängt das heutzutage an?
    Die zweite Lebenshälfte hat mit dem, was sich unsere Großeltern darunter vorstellten, heute nur noch wenig zu tun. Als ich zu recherchieren begann, kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ich stieß auf Regierungsmitglieder in den Vierzigern, Fünfzigern, die Kinder bekommen hatten, während sie im Amt waren. In den Parks, auf den Wegen, über die einst unsere gebeugten Eltern und Großeltern mit ihren Spazierstöcken geschlichen sind, joggen jetzt glückliche Sechzigjährige. In Großbritannien ist die Verbrechensrate bei den über Sechzigjährigen steil

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