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Vom Wahn zur Tat

Vom Wahn zur Tat

Titel: Vom Wahn zur Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Stompe
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bist du selber dran.“ Oder, die zweite Variante: „Ich befehle dir etwas, weil du damit beweist, dass du zu diesem und jenem in der Lage und damit berufen bist, eine besondere Stellung in der Welt einzunehmen.“ Immer wieder sind diese beiden Varianten im Spiel, wenn Stimmen den Kranken dazu bringen, dass er tötet.
    Manchmal aber verliert der Täter in der Psychose vollkommen die Kontrolle über seine Handlungen, weil nach seiner Überzeugung irgendeine äußere Instanz ihn vollständig beherrscht. Daraus resultieren manchmal äußerst brutale und bizarre Taten, die man am besten als „katatonen Overkill“ im Raptus bezeichnen kann. Die Handlungen dieser Patienten werden nicht mehr als eigene, sondern gleichsam von einer äußeren Instanz gesteuert erlebt. Die affektive Grundspannung steigt immer mehr an, die Aggression bündelt sich, bis etwas vollkommen Unkontrollierbares passiert. Dabei erleben sich diese Menschen im zeitlichen Umfeld der Tat als völlig von sich entfremdet. Diese Entfremdung wird so interpretiert, dass von außen die Kontrolle übernommen wurde. Was dann passiert, ist ein Selbstläufer. Es kommt zu einem hochgradigen Erregungszustand, der sich in äußerst brutalen Taten entladen kann. Wenn danach die affektive Spannung abklingt, sind die Täter zumeist extrem entsetzt, eine Erschütterung, die manche unter Umständen noch Jahre später in den Selbstmord treibt.
    Es finden sich also drei Pfade von der schizophrenen Symptomatik hin zur Tötung: die wahnhafte Bedrohung, die imperativen (befehlenden) Stimmen und die Entmächtigungserlebnisse in den katatonen Erregungszuständen. Wie wir allerdings bereits festgehalten haben, tötet zum Glück nicht jeder, der sich bedroht fühlt. Es gibt auch genug psychotische Menschen, die befehlende Stimmen hören und trotzdem jeder Gewaltanwendung widerstehen können. Was man bei den schizophrenen Tätern allerdings häufig findet, sind Menschen, die aufgrund instabiler familiärer Verhältnisse in Kindheit und Jugend kein stabiles Moralempfinden aufbauen konnten oder deren Moralempfinden durch langjährigen Substanzkonsum langsam ausgehöhlt wurde. Bei anderen wiederum hat der Krankheitsprozess zu einer raschen Verflachung der höheren Gefühle geführt. Nun ist sowohl moralisches als auch gesetzestreues Verhalten durchaus komplex. Man muss erkennen, ob ein Problem vorliegt, welches das moralische Urteil herausfordert. Der Betroffene muss gelernt haben, sich korrekt zu verhalten, auch wenn keine potenziell strafende Instanz in der Nähe ist. Hier sind unsere kognitiven Fähigkeiten herausgefordert. Wir bewegen uns in der Nähe des kategorischen Imperativs – Kant lässt grüßen. Ohne die Unterstützung durch die moralischen Gefühle, also Scham, Schuld und Mitleid, stehen unsere kognitiven Moralvorstellungen auf schwachen Beinen. Häufig sind bei schizophrenen Menschen das moralische Verständnis und die Urteilskraft intakt, in der Sprache der Forensischen Psychiatrie ist zwar die Einsichtsfähigkeit (Diskriminationsfähigkeit) erhalten, es gelingt dem Kranken allerdings aufgrund seiner psychischen Verfassung nicht, sich in seinem Verhalten daran zu orientieren. In der Sprache der Forensischen Psychiatrie ist dann die Steuerungsfähigkeit (Dispositionsfähigkeit) eingeschränkt oder aufgehoben.

Der Fall Wolfgang S. – Verfolgt von Zeitungskolporteuren
    Er hatte bereits mehrere Tage nicht mehr geschlafen und begab sich dennoch zum Flughafen Schwechat. Dabei versuchte er durchaus, den Zeitungskolporteuren auszuweichen, doch mit leidlichem Erfolg. Bei der Rückfahrt in die Stadt war da wieder einer, ein asiatisch aussehender, der ihn, wie es in der Krankenakte heißt, durch „körperliche Nähe, Spuckesammeln und andere Geräusche aus dem Nasen-Rachen-Raum“ provoziert hatte. Er war sich nun sicher, bis an sein Lebensende nie mehr unbelästigt leben zu können, kochte innerlich vor Wut.
    Im Schnellbahnzug nach Wien hielt sich Wolfgang S. in einem anderen Wagen als das spätere Opfer auf. Noch in der Schnellbahn lud er seine Waffe durch, um dem vermeintlichen Verfolger einen Denkzettel zu verpassen. Er sehe, so die Aussage in der Akte, seine Tat nicht als ein Verbrechen, sondern „als Teil einer kriegerischen Auseinandersetzung“. Um 21.38 Uhr an einem März-Abend 1993 feuerte Wolfgang S. an einem Bahnsteig in Wien – laut Eigenbekundung „ohne die Absicht das Opfer zu erschießen“ – drei Schüsse ab. Der vermeintliche Verfolger war sofort tot.

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