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Vom Wahn zur Tat

Vom Wahn zur Tat

Titel: Vom Wahn zur Tat
Autoren: Thomas Stompe
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damit ein Ende finden.
    Auch er selbst habe sich verändert, meint er, er habe das Gefühl gehabt, seine Umwelt würde sein Innerstes kennen, seine Bestrebungen, Pläne und Gedanken. Nicht dass die anderen seine Gedanken gelesen hätten, es sei vielmehr eine Art globales Lebensgefühl gewesen, so „als ob er durchsichtig wäre“.
    Walter M. sagt, er habe die Sticheleien seitens seiner Eltern und seiner Schwester nicht mehr ausgehalten. Sie hätten seine Persönlichkeit und seine Gesundheit angezweifelt. Die Situation sei für ihn unerträglich gewesen, er habe schließlich keinen anderen Ausweg mehr gesehen als zuzustechen. Am Morgen vor der Tat sei er um ca. 9.30 Uhr aufgestanden, die Mutter habe ihm ein Frühstücksei angeboten, seine Schwester, die krank und deshalb nicht in der Schule gewesen sei, habe ebenso ein Frühstücksei angeboten bekommen. Die Mutter habe gesagt, nun müsse das Ei markiert werden. Er habe deshalb geglaubt, das Ei sei vergiftet.
    Der weitere Tathergang laut M.s Schilderung: Er ging wütend in das Badezimmer im ersten Stock, ließ sich ein Bad ein und überlegte dabei, dass er nun mit einem Messer auf die Mutter und die Schwester einstechen müsste, um dem Ganzen ein Ende zu bereiten. Daraufhin ging er wieder in die Küche, in der sich die Schwester befand. Er täuschte vor, eine Orange auspressen zu wollen, und nahm dabei ein Fleischmesser aus der Lade. Damit stach er der Schwester zweimal in den Rücken. Sie floh in Richtung Haustüre. Er versuchte, sie einzuholen, schaffte es aber nicht.
    Daraufhin ging er ins Wohnzimmer, wo die Mutter schon von der Couch aufgestanden war. Sie kam auf ihn zu, wollte ebenfalls flüchten. Als die Mutter sich schon zwanzig Zentimeter hinter ihm befand, drehte er sich um und stach auf sie ein. Die Mutter rief um Hilfe und wälzte sich in Richtung Terrassentüre. Walter M. brachte ihr einen Polster, den er unter ihren Kopf legte. Auch ein Glas Wasser reichte er ihr. Die Mutter forderte ihn auf, nun die Rettung zu verständigen, was er auch machte. Die Mutter starb allerdings noch vor dem Eintreffen der Sanitäter. Kurz darauf war die von der Schwester alarmierte Polizei zur Stelle, die ihn mitnahm.
    Walter M. kann sich an die gesamte Tathandlung erinnern, er habe alles mit vollem Bewusstsein erlebt. Er meinte später: „Wenn ich mit der Faust zugeschlagen hätte, wären die Folgen nicht so schlimm gewesen. Dass ich aber ein Messer genommen habe und deshalb die Verletzungen schwerer sind, war mir voll bewusst. Was passiert ist, ist das Ergebnis von dem, was ich gemacht habe. Ich habe die Tat begangen, weil ich auf sie zustechen wollte. Dass ich es getan habe, tut mir nicht leid. Es tut mir für meine Mutter und für meine Schwester leid, dass sie jetzt solche Schmerzen erleiden mussten. Ich wünsche meiner Schwester, dass sie wieder gesund wird. Wenn ich die Tat nicht begehen hätte wollen, hätte ich es auch nicht gemacht. Ich habe schon im Bad die Entscheidung für die Tat gefasst.“
    Dass er Mutter und Schwester für die Köpfe der Verschwörung gegen ihn gehalten habe, bestritt Walter M. nach der Tat. Überhaupt wisse er nicht, warum er das Ganze eigentlich gemacht habe. Ebenso wenig wisse er, warum man all die beschriebenen Dinge ausgerechnet mit ihm gemacht habe. Er habe sich darüber noch lang den Kopf zerbrochen, ohne jedoch zu einem Ergebnis zu kommen.
    Der Fall Walter M. zeigt eine klassische paranoide Schizophrenie. Die Langzeitfolgen des Drogenkonsums bei psychotischen Patienten sind wesentlich gefährlicher und intensiver als bei gesunden Menschen. Zuerst wird die Umwelt fremd, ein Phänomen, das in der Fachsprache als Derealisation bezeichnet wird. Der Patient reagiert irritiert und beobachtet genauer – was dazu führt, dass er noch mehr irritiert ist, denn das eigene Verhalten verändert auch das Verhalten der Leute, mit denen er zu tun hat. Die Verfolgung beginnt sich zu generalisieren. Besonders gefährlich wird es, wenn viele vermeintliche Verfolger vorhanden sind. Zuerst Bekannte, dann kommen Schulfreunde dazu und letztendlich Mutter und Schwester. Das ist eine besonders kritische Konstellation, denn hier tritt eine große Enttäuschung ein: „sogar Mutter und Schwester“ sind Teil der Verschwörung. Es gibt kein Ausweichen mehr ... Auch für Walter M. gab es das nicht. Er wurde nach Jahren in der Maßnahme entlassen, er beging bald danach Selbstmord.

Der Fall Günther L. – Töten, um ein Zeichen zu setzen
    Das Fernsehprogramm ist
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