Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
stoßen auf unsere Genesung und den versöhnlichen Abschluss dieses hammerharten Tages an. Dann aber geht’s unter die Dusche. Alles, was ich angehabt habe – bis auf die Stiefel natürlich – wandert ins Duschbecken und wird von meinen Füßen durchgewalkt. Eine braune Soße ergießt sich in den Abguss. Zum Schluss ein wenig Haarwaschmittel unter die Wäsche und so lange stampfen, bis sich kein Schaum mehr bildet.
Es ist der zweite Waschtag innerhalb von vier Wochen, man soll es ja auch nicht übertreiben. Außerdem stinkt man selten, es sei denn, man scheißt sich zu. Der Schweiß wird im Laufe eines Wandertages sauberer und riecht weniger. So reinigt sich die Wäsche praktisch von selbst. Vorsichtshalber puste ich noch meine Matte auf – mal seh’n, ober der Flicken hält.
Auferstanden wie Phönix aus der Asche, so fühle ich mich, während ich die Treppen hinunter in den Garten gehe. Ein wenig Körperlotion verbreitet einen wohligen Duft, so kann man sich sehen lassen.
Und dann das Essen: Sauerbraten mit Knödeln, selbstgemachter Rotkohl und dazu ein Schwarzbier – mein Lieblingsmahl und ein Festessen obendrein. Und was das Größte ist, alles bleibt drin.
Ende gut – alles gut.
Z WEITER R UHETAG
MITTWOCH, 28. MAI
WEISSENBURG
Als ich aufwache und die Augen aufschlage, fällt mein Blick als Erstes auf die Unterlegmatte. Schlaff liegt sie vor meinem Bett, die gesamte Luft ist entwichen. Das kann doch nicht angehen. Hat der Flicken nicht gehalten, oder gibt es gar ein zweites Loch? Ich pumpe die Matte auf, tauche die Stelle mit dem Flicken ins Waschbecken und siehe da, dicht daneben befindet sich ein zweites Leck. Wie empfindlich ist das Ding denn! Ich muss mir unbedingt einen Beutel besorgen, in dem ich die Matte verstauen kann. Offensichtlich entstehen die Löcher beim Wandern, wenn ich sie oben auf den Rucksack geschnallt trage. Oft streifen uns Zweige, oder wir legen den Rucksack unachtsam ab.
Behutsam flicke ich die Stelle, pumpe die Matte wieder auf und mache mich frisch.
Es ist schwül. Die Sonne scheint fahl durch einen verschleierten Himmel, kein Lüftchen bewegt sich. Unter der schattigen Kastanie im Garten des Hotels nehmen wir unser Frühstück ein. Mal seh’n, was die Stadt so zu bieten hat.
Es geht eher provinziell und beschaulich zu. Spätmittelalterliches Fachwerk, barocke Bürgerhäuser und eine eindrucksvolle Stadtmauer mit dem prächtigen, vollständig erhaltenen Ellinger Tor prägen das Stadtbild.
Martin und ich schlendern gemächlich durch die Gassen und stehen nun vor einem kleinen Geschäft, dessen Schaufensterauslagen auf Sport- und Freizeitartikel hinweisen. Hier könnte ich einen Packbeutel bekommen.
Begleitet von einem Geläut, wie es mir aus den kleinen Dorfläden vor 50 Jahren noch in Erinnerung ist, öffne ich die Tür und betrete einen schummrigen Raum, in dem es streng nach Desinfektionsmitteln und Mottenkugeln riecht. Ein einziger Ständer in seiner Mitte ist überhäuft mit Bademoden der Größe XXL, und in einem Regal stapeln sich Handtücher bis an die Decke. Es ist, als hätte ich eine andere Zeit betreten. Ein Vorhang bewegt sich, und ein altes Mütterlein betritt den Raum. Eine Perücke sitzt schief auf dem knöchernen, von Altersflecken übersäten Schädel. Durch die pergamentene Gesichtshaut schimmern unzählige blaue Adern, ein trüber, jenseitiger Blick verliert sich im Nirgendwo. Auf die Frage hin, ob sie Verpackungsbeutel habe, haucht sie mit großer Kraftanstrengung ein Nein, und ich beobachte, wie sich die schweren, durchsichtigen Lider über die Augen legen wollen. Der Abschied steht ihr ins Gesicht geschrieben. Mich schaudert’s, ich murmele einen Gruß und flüchte ans Licht.
Die Konfrontation mit dem dahinwelkenden Leben kann ich schwer ertragen. So kostet mich der Gang in ein Altersheim immer eine große Überwindung, wahrscheinlich, weil dort die Situation der alten Menschen mir zeigt, wohin die Reise geht. Das war nicht immer so, früher realisierte ich nicht, dass Altwerden etwas ist, was auch mich betrifft.
Als ich ein kleiner Junge war – sieben, acht Jahre alt –, kamen mir alle, die über zehn waren, alt vor, und der Tod war eine unheimliche Figur in einem Märchen. Einmal bin ich ihm begegnet, als ich an einen Sarg trat, in dem ein alter, toter Mann lag. Dass er so stumm und unbeweglich und auch so blass dalag, hat mich befremdet, aber er machte mir keine Angst, der Tod gehörte noch nicht in meine Welt.
Während der Pubertät gab
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