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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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zehn Tage Urlaub seien nicht drin. Ihr Hotel lasse das nicht zu. Es gebe keine Autobahnanbindung, jeder Gast sei wichtig.
    Sie fragt uns, was wir arbeiten und wieso wir so lange unterwegs sein können. Das werden wir übrigens öfter gefragt. Ich antworte dann, dass das alles Entscheidende sei, etwas wirklich zu wollen. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, und das ist das ganze Geheimnis.
    Immer wieder wird mir bei solchen Gesprächen bewusst, dass ich gerade einen Traum realisiere, dass ich es geschafft habe, einer Sehnsucht zu folgen. Es ist eine außerordentliche Zeit, die trotz langsam einsetzender Routine und großer körperlicher Anstrengungen spannend bleibt und deren einziges Ziel das Unterwegssein ist. Wir verfolgen keinen bestimmten Zweck, treiben wandernd durch den Tag, bewerten die Zeit nicht nach ihrem Nutzen. Wir sind nicht getrieben, wir gehen nur und schauen, schauen in diese Welt wie niemals sonst zuvor.

E IN S OMMERNACHTSTRAUM
    DONNERSTAG, 29. MAI
WEISSENBURG – KURZ VOR WOLFSBRONN
AM HAHNENKAMM IM ALTMÜHLTAL), 28 KM
    Wir brechen zeitig auf, denn es wird jeden Tag heißer. Entlang einer Bahntrasse führt der Weg aus Weißenburg hinaus. Zur Rechten Maisplantagen, ein von Pappeln gesäumter Feldweg, ein paar Wirtschaftsgebäude und linker Hand, hinter den Bahnschienen, Lastkräne, Schornsteine, Stromleitungen, Fabrikhallen, Lärm. Ein Güterzug rattert vorbei. Wir halten uns die Ohren zu. Vorüber ist es mit der gewohnten Ruhe. Wir haben unseren Schutzraum, die Flur und den Wald, verlassen und laufen nun direkt durch den Produktionsraum Deutschland. Es hämmert und quietscht, es poltert und jault, während ein weiterer Zug Richtung Treuchtlingen vorbeidonnert. So ist Deutschland auch, und es war immer dicht bei uns. Wir haben das nur auf unserem bisher eher einsamen Weg ganz vergessen!
    Martin ist begeistert. Der Lärm stört ihn nicht. Mit kindlicher Freude hält er inne, wenn ein Zug vorüberfährt, und zitiert mit leuchtenden Augen die Zugverbindungen, als seien es Zeilen aus dem Evangelium. Ich glaub’, er kennt sämtliche Kursbücher auswendig.
    Langsam verebbt der Lärm, um im nächsten Dorf nach zwei Stunden Marsch entlang der Bahn umso erbarmungsloser wieder zuzuschlagen. Der Ort wird komplett umgegraben. Bagger, Presslufthämmer, Lastwagen und Planierraupen versperren die Straßen. Meterhohe Erdhaufen und Felsbrocken türmen sich neben Löchern und tiefen Gräben. Der Gestank nach Öl, Benzin und Abwasser vervielfältigt sich in der Hitze. Hastig stürzen wir in einem Restaurant eine Schorle runter und flüchten sogleich wieder aus dem Dorf. Der Krach ist unerträglich.
    In der Feldmark herrscht Ruhe, aber die Hitze ist gewaltig. Das Thermometer schwankt um die 33 Grad. Wir laufen in der prallen Sonne und dazu noch auf einem betonierten Feldweg. Unter meiner Mütze könnte man ein Ei ausbrüten, die Klamotten kleben am Körper, die Füße in den Stiefeln sind aufgequollen wie nasses Weißbrot.
    Wir überqueren die Altmühl und schleppen uns nach Wettelsheim. Gleich am Anfang des Ortes steht ein einfacher Gasthof mit zwei Tischen und ein paar Stühlen davor. Ein einsamer Blumenkübel mit verdorrtem Oleander und ein zusammengeklappter Sonnenschirm ergänzen das Ensemble. Die Hitze flimmert über dem Betonboden und staut sich in dem Winkel, den der Gasthof mit einer angrenzenden Stallung bildet. Im Innern des Lokals ist es muffig und duster, also machen wir uns draußen breit, kurbeln den Schirm hoch, ziehen die Stiefel aus und lassen uns in die Stühle fallen. Ein Azubi im ersten Lehrjahr, ein bleiches, etwas schüchternes Mädchen bedient uns. Wir bestellen Hochzeitssuppe und Apfelschorle. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, wenn ich an die salzige Suppe mit den Fleischklößchen, dem Gemüse und dem Eierstich denke.
    Ungläubig bestaune ich dann den Teller, der vor mir steht: eine wässrige Brühe mit Fädle, einem dunklen Leberknödel und einem weißen Grießkloß, besser konnt’s nicht kommen. Die beiden Klöße sollen wohl Braut und Bräutigam darstellen, die Mitgift allerdings ist erbärmlich. Es schmeckt fade. Die Franken können einfach keine Suppen kochen. Als Ausgleich bestellen wir uns ein Eis, und das schmeckt wirklich gut.
    Martin blättert in dem Frankenweg-Buch, und ich betrachte nachdenklich die Karte auf dem Navigationsgerät. Bis zur nächsten Übernachtungsmöglichkeit in einem Ort sind es fast 30 Kilometer, also außerhalb unserer Reichweite, und das bedeutet ein

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