Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
dann geschockt schaute er mich an und anschließend auf seine Hände.
„Die hab’ ich stehen lassen“, rief er panisch, drehte sich mit samt seinem Rucksack um und lief, immer schneller werdend, zurück.
Sprachlos schaute ich ihm hinterher, sah, wie der Rucksack auf und ab wippte und seinen Lauf aus dem Rhythmus brachte. Wie ein behindertes Karnickel hoppelte er dahin. Schade, dass meine Kamera nicht schussbereit war.
Wir verlassen den Wald, und die Hitze trifft uns wie einen Keulenschlag. Das ist mit Abstand der heißeste Tag heute, und wir laufen genau in einer Hitzerinne Richtung Westen, entlang des mit hohen Laubbäumen bewachsenen Albtraufs. Linker Hand ziehen sich die Felder leicht ansteigend bis zum Horizont. Über ihnen steht die Sonne und brennt genau in jenen Winkel hinein, den Feld und Wald bilden. Dort, wo sie aufeinander stoßen, führt unser Weg, und hier staut sich die Wärme glutheiß und verzehrt uns schier.
Seit Alfershausen sind wir durch keinen einzigen Ort mehr gewandert, und das ist schon Stunden her. Unsere Wasservorräte gehen langsam zur Neige, und Hunger haben wir auch – es geht bereits auf zwei Uhr nachmittags zu. Durchgeschwitzt und geschlaucht von der Hitze erreichen wir endlich ein Dorf, in dem es weder einen Gasthof noch einen Laden gibt. Da stehen wir nun in der Gluthitze mitten im Ort wie auf einem Friedhof – nichts bewegt sich, nichts ist zu hören bis auf das Gezänk der Spatzen. Mein Schädel pulsiert, und Martin sieht auch nicht gut aus. Wir müssen wohl irgendwo klingeln, um an frisches Wasser zu gelangen.
Ich lehne mich erschöpft gegen einen Zaun und stochere mit meinen Stöckern in der Erde herum. Irgendetwas muss jetzt passieren.
„Hallo Männer, wo wollt ihr denn hin?“, ruft plötzlich eine Stimme aus dem Garten, an dessen Zaun ich lehne.
„Wir suchen einen Gasthof, um eine Pause einzulegen!“
„Tja, früher gab’s mal einen. Jetzt ist hier nichts mehr.“
Ein Mann nähert sich und mustert uns.
„Ihr seht ja ganz schön fertig aus. Wo kommt ihr denn her?“
„Heute aus Alfershausen. Wir wandern durch Deutschland, kommen aus Hamburg und sind seit über vier Wochen unterwegs.“
„Donnerwetter! Und wohin soll’s gehen?“
„Bis in die Alpen, nach Füssen!“
„Sagen Sie mal“, frage ich, „können wir bei ihnen unsere Wassersäcke auffüllen?“
„Natürlich, kommt rein!“
Inzwischen ist auch die Frau des Hauses hinzugetreten und bittet uns unter einen schattigen Pavillon.
„Setzen Sie sich erst mal. Ich hole Ihnen was zu trinken.“
Sie kehrt mit zwei Flaschen eiskaltem Holunderblütensaft zurück, der mit Apfelessig angereichert ist. Gierig setzten wir sie an die Lippen und pumpen uns, ohne innezuhalten, die Hälfte des Getränks mit wenigen Zügen in den Magen.
„Sie sind aber durstig! Sie haben doch bestimmt auch Hunger. Ich bringe Ihnen was!“
Sprach’s und verschwindet mit ihrem Mann, um zu holen, was die Küche hergibt: Leberwurst und Blutwurst in Gläsern, Hausmachersülze, Tomaten, Senf, saure Gurken und frisches Brot. Dann ziehen sie sich dezent ins Haus zurück und lassen uns in Ruhe speisen. Wir langen ordentlich zu, trinken die Flaschen leer, auch die, die sie mit dem Essen nachgereicht hat, und sind am Ende pappsatt.
Als wir fertig sind, setzen sie sich zu uns und wir plauschen miteinander. Sie haben sich das große, alte Haus dort zurechtgemacht und Ferienwohnungen eingebaut. Davon leben sie, und es läuft gar nicht mal so schlecht.
Als wir bezahlen wollen, heben sie abwehrend die Hände und wollen nichts annehmen. Wir helfen noch mit abtragen und verabschieden uns dann von diesen gastfreundlichen Leuten. Jetzt haben wir gestern das Abendbrot und heute das Mittagessen geschenkt bekommen. Die Menschen sind großartig: kein Misstrauen, keine Vorbehalte und eine Freigebigkeit, die ich so nicht erwartet habe.
Wir sind wieder auf der Piste, verlassen das Dorf Geyern auf einer Asphaltstraße, die in einer ansteigenden Kurve hinauf zu unserem Weg am Albrand führt. Die Nachmittagshitze ist erbarmungslos, das Laufen fällt schwer. Die heiße Luft wabert und flimmert über der Ebene unter uns. Auf einer vorgeschobenen Kanzel schauen wir bis ins fränkische Seenland, das sich im Dunst verliert. Mücken und Bremsen machen uns zu schaffen. Doch da ist noch etwas anderes, das sich zunehmend unangenehm bemerkbar macht. In meinem Magen gluckert es bedenklich, und ich spüre, wie sich Krämpfe aufbauen. Das fühlt sich nicht
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