Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
Esel!“, begrüßt uns einer der Männer mit Blick auf unsere Rucksäcke.
„Aus Hamburg“, antworte ich.
„Nein, ich meine, wo seid ihr losgewandert?“
„Ja, kurz hinter Hamburg – in Lüneburg!“
„Was? Alles zu Fuß?!“
Ungläubiges Staunen.
„Und wo seid ihr heute los?“, fragt er weiter.
„Wir haben draußen geschlafen, irgendwo bei Wolfsbronn.“
„Habt ihr ein Zelt dabei?“
„Nein, nur einen Schlafsack und die Unterlegmatte.“
„So, so – wir kommen aus Spielberg. Gehen den Altmühlpanoramaweg. Hier, schauen Sie mal.“
Er blättert in einem Buch und zeigt mir dann in aller Ausführlichkeit die Strecke. Dann fällt ihm wieder ein, wo wir herkommen.
„Aus Lüneburg also seid ihr. Das kenne ich gut. Bin demnächst für zwei Wochen mit dem Fahrrad dort oben. Kennen Sie Hitzacker? Das ist wunderschön. Man kommt gut mit der Bahn dorthin. Von da aus wollen wir mit dem Rad an die Elbe.“
Er fängt jetzt tatsächlich an, mir meine Heimat zu erklären, und hört einfach nicht mehr auf. Erzählt, wo er überall war und welche Strecken er gefahren ist und was er noch alles machen will.
Seine Frau kennt das wohl. Ihr Blick geht verlegen zu Boden, und auch der zweite Herr hat sich abgewandt und fummelt an seiner Uhr herum. Ein-, zweimal hebe ich an, etwas zu sagen, dann ergebe ich mich in mein Schicksal, und weil er nicht aufhört, fange ich an, ihn zu hassen. Hinsetzen kann ich mich auch nicht mehr, weil eine der Frauen inzwischen Platz genommen hat, außerdem muss ich so nötig pinkeln. Hoffentlich hauen die bald ab und lassen uns hier in Ruhe. Aber er redet und redet!
„Karl, lass uns mal weiter!“, mahnt sein Kumpel.
„Gleich, wart eben“, entgegnet er und erzählt nun noch von irgendeiner Eisdiele in Amelinghausen bei Lüneburg.
Martin hat die Faxen dicke und zieht die Reißleine: „Guter Mann, wir kommen von da oben und kennen uns aus. Wir müssen jetzt mal weiter.“
In diesem Moment liebe ich ihn für diesen abrupten Gesprächsabbruch, denn ich habe inzwischen das Gefühl, dass mir meine Blase gleich um die Ohren fliegt, und das Gebrabbel kann ich nicht mehr hören.
„Na dann…“ ist alles, was er noch von sich gibt, bevor sich die Herrschaften verabschieden und von dannen ziehen.
Mit einem Stoßseufzer stelle ich mich an den nächsten Baum und erleichtere mich. Dann sinke ich wieder auf die Bank, und wir saugen förmlich die Ruhe ein, als wär’ sie uns seit Tagen abhanden gekommen.
Meine Güte, was hat der Typ sich produziert und genervt, und das war nicht das erste Mal auf unserer Wanderung. Es ist eine besondere Spezies, die da unterwegs ist. Es sind die Brüllaffen, die plötzlich vor einem stehen, sich aufblasen und wichtig tun, laut und mit Nachdruck. Und erst dann aufhören, wenn man sie vertreibt. Es sind immer die Männer, während die Frauen schweigen.
Nun ja, es ist vorüber.
Zwei Stunden geht es nun ausschließlich durch Wald. Die Hitze tropft durch die Baumwipfel und legt sich über den Waldgrund. Die Vögel haben sich verkrochen, und das Laub ist erstarrt. Kein Windhauch rührt sich, unsere Wandergeräusche werden von der Schwüle geschluckt. Der Boden ist knochentrocken. An manchen Stellen, wo die Sonne ihn erreicht, klaffen Risse. Das Land dürstet nach Regen.
Nach zwei Stunden gibt uns der Wald frei, und wir blicken auf den Spielberg, auf das Schloss und darüber hinaus in die Ebene jenseits des Albtraufs.
Nach einem kurzen Anstieg stehen wir vor der gewaltigen, aus Felssteinen errichteten Schlossmauer. Nichts rührt sich, die Tore sind geschlossen, kein Mensch außer uns hier oben. Vor der Mauer führt ein Weg entlang, direkt am oberen Rand der vorgeschobenen Kuppe, auf der das Schloss steht, und gibt einen herrlichen Blick über das sommerliche Land frei, hinüber nach Baden-Württemberg und nach Norden bis ins Fränkische Seenland hinein. Blauer Himmel, weiße Wolken, die roten Dächer kleiner Dörfer zwischen dunklen, bewaldeten Höhen und grünen Wiesen und Feldern, unterbrochen von zartgelben Flächen des verblassenden Rapses und der hellbraunen Erde noch unbewachsener Stellen auf den Äckern. Es sind die Farben deutscher Landstriche im Frühling – immer wieder begegnen wir ihnen.
Den Rucksack abgelegt, stemme ich meine Ellenbogen auf die Mauer, die den Weg zum Abhang begrenzt, stütze meinen Kopf in die Hände und blicke versonnen ins weite Land hinein. Wie ruhig und verträumt es ist! Wie malerisch es daliegt! Wie schön dieses Bild
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