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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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mich, Wolken stehen am Horizont, darüber ein roter Streifen Himmel und über mir einige Sterne, die schwach im Dunst blinken. Eine Welle der Seligkeit und des Glücks hat mich erfasst, dass es mir schier den Atem raubt. Alle Last ist von mir gewichen, wie eine alte Schale einfach abgefallen. So frei, so jung, so unbeschwert habe ich mich lange nicht mehr gefühlt. Als ich verliebt war, war es ähnlich, und manchmal ist es auch heute noch so – für kurze Momente. Aber das hier ist anders, es ist von einer Urgewalt, die die Seele über deinen Körper hinauswachsen lässt, so dass du mehr bist als zuvor.
    So war es vor Jahrzehnten, als ich mit einem Freund von Wien aus mit dem Zug über Thessaloniki nach Athen gefahren bin. Wir verbrachten, wie viele andere junge Menschen, die Nacht auf einem Stück Rasen in Piräus, um am nächsten Tag mit einem Dampfer auf die Kykladen zu fahren; hockten auf unseren Schlafsäcken, Gitarrenmusik erklang, es wurde gelacht, gefeiert und geflirtet. Schon bald hatten wir zwei Mädels ausgemacht, und es baute sich eine Spannung auf. Blicke wurden ausgetauscht, und irgendwann prostete man sich zu, und wenig später saßen wir beieinander. Sie waren Belgierinnen, wir unterhielten uns auf Englisch. Eine wunderbare Stimmung lag über diesem Stück Rasen. Jung waren wir, unbeschwert und auf Reisen, wie alle hier unterwegs in ein Abenteuer und voller Spannung auf das, was wohl passieren würde. Die beiden Mädels waren nett und hübsch obendrein. Sie schlugen vor, baden zu gehen, kannten einen Strand in der Nähe, zu dem sie uns Männer führten. Wir waren zu dritt, einen Typen aus Aachen hatten wir im Zug kennengelernt. Die Mädchen zogen sich nackt aus und stürzten sich ins Wasser, wir hinterher. Eine Weile planschten wir und alberten herum, aber die Lust, eines der Mädel in die Arme zu schließen, sie zu küssen und zu streicheln, wurde übergroß. Drei Männer, zwei Frauen – einer wird übrigbleiben und keiner wusste, wie und mit wem man zusammenkommen sollte.
    Dann berührte mein Körper den des Mädels mit den dunklen, langen Haaren und den tiefbraunen Augen, eher zufällig, aber lang genug, dass es wie elektrischer Strom durch mich hindurchging und ich nicht anders konnte, als die Arme um sie zu schlingen, sie an mich zu ziehen und sie zu küssen. Sie war bereit und erwiderte den Kuss mit einer Leidenschaft, die uns in eine Welt katapultierte, in deren Mittelpunkt nur noch wir standen.
    Wir zogen uns an und gingen engumschlungen zurück. Mein Freund war leer ausgegangen, der Typ aus Aachen war schneller, oder hatten sich die beiden Mädchen doch vorher festgelegt?
    Wir krochen zusammen in den Schlafsack und liebten uns sanft und still und es war köstlich. Selig lagen wir aneinander gekuschelt, und wir haben uns wirklich gemocht. Das war alles so losgelöst, unschuldig und unwirklich – wie im Paradies oder in einem Traum.
    Am nächsten Morgen schlossen wir uns noch einmal in die Arme, und dann bestieg jeder sein Schiff und ging seiner Wege.
    Für eine kurze Zeit war ich traurig, weil wir auseinandergingen, aber auch glücklich, wenn ich an die verzauberte Nacht dachte.
    Sie bleibt für immer ein Symbol für erfüllte Sehnsucht, so wie auch diese Nacht eine tiefe Befriedigung in mir verbreitet und eine Erfüllung schafft, die man selten in seinem Leben erreicht.
    Ich hocke noch immer auf meinem Thron, der Mond steht hinter mir und leuchtet still auf die Erde hinab. Sein Licht wirft Schatten, und unter dem milden Glanz sind die Wälder so schwarz wie die dunkelste Nacht. Mir ist alles vertraut, ich fürchte mich nicht, bin dem Geheimnis, das hinter allem steht, ganz nah.
    Es ist, als ob dieser Platz, dieser Abend, dieses berauschende Lebensgefühl die Bestimmung meiner Wanderung ist. Ich begreife, warum es sich lohnt zu leben, und fühle einen tiefen Sinn in dem Glück, das mich ausfüllt.
    Unfassbarer Frieden liegt über dem schlafenden Land und ruht auch in mir.

    Ich bin nicht hier,
Ich bin nicht dort,
Bin irgendwo -
Weit fort.

    Bin ganz bei mir in dieser Nacht,
In der der Welten Zauber
Mir so viel Glück gebracht.

    Ich seh’ den Mond
Und seh’ die Sterne,
Seh’ dunkle Wälder
Und Schatten ferner Berge.

    Ich fürcht’ mich nicht,
Mir ist nicht bang,
Hab’ so viel Kraft
Für ein Leben lang.

    Warte, warte noch,
Bin bald zurück,
Will teilen mit Dir
Mein ganzes Glück.

H ITZE
    FREITAG, 30. MAI
KURZ VOR WOLFSBRONN – HECHLINGEN A. SEE
(FRÄNKISCHE ALB / MITTELFRANKEN), 30

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