Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
eine Übernachtung.
Die Hitze stemmt sich uns entgegen. Wir mühen uns ab und quälen uns durch die bleierne Schwüle, sehen inzwischen wohl auch nicht besser aus als die beiden Männer vorhin in der Gaststube. „Dead man walking“, so komme ich mir vor.
Erschöpft erreichen wir das Hotel. Man mustert uns von oben bis unten, als wir nach zwei Zimmern fragen. Die Bereitschaft scheint nicht groß zu sein, zwei verdreckte Wanderer für eine Nacht zu beherbergen.
„Hm, mal sehn, ob was frei ist“, heißt es.
Inzwischen kennen wir das Spiel. Jetzt bloß nicht locker lassen, einen treuen Dackelblick aufsetzen, erzählen, dass man seit 31 Tagen von Hamburg aus unterwegs ist, noch bis Füssen will und schon seit drei Tagen draußen schläft.
Das hilft, und nach einigem Zögern können wir unsere Zimmer beziehen, duschen und uns umkleiden.
Mittlerweile sind über dem Dorf dicke, schwarze Wolken aufgezogen, türmen sich übereinander und schieben sich in den noch blauen Himmel über uns. Die bleierne Luft verharrt regungslos im fahlen Glanz der sich verschleiernden Sonne, die Vögel haben ihren Gesang eingestellt. Dann fallen die ersten Tropfen, so dick wie Murmeln, und zerplatzen auf dem Boden.
Als wir den stickigen Gastraum betreten, bricht das Unwetter los: Blitze, Donner, Sturm und am Ende sintflutartiger Regen.
Die Bude ist voll: Übernachtungsgäste, Einheimische und in einem Nebenraum eine Gesellschaft. Nach dem Essen geselle ich mich an die Theke und komme mit den Leuten ins Gespräch. Wie so oft geht es um Politik und persönliche Belange.
Ein Fischbauer erzählt mir seine Sorgen: Er habe 30 Seen gepachtet, in denen er Forellen züchte und damit 30 Tonnen Ertrag pro Jahr mache. Pro Tonne erhalte er 1.000 Euro. Wenn man die Unkosten abziehe, bleibe da nichts übrig. Bei der jetzigen Hitzewelle müsse er zusätzlich jeden Tag 40 Euro für Frischwasser, das aus einem Verteiler zugeführt wird, aufbringen. Den Anspruch, nur Biofutter einzukaufen, habe er aufgeben müssen. Die Großen diktieren die Preise. Die machen bis zu 500.000 Tonnen im Jahr. Das Ganze sei ein Centgeschäft, und die Masse macht’s.
„Wenn er 30.000 Euro Gewinn pro Jahr macht, wäre das okay“, denke ich. „Dieser Betrag aber ist sein Umsatz. Wie will er denn damit zurechtkommen?“
Ich habe meine Zweifel, frage aber nicht nach.
Im Verlauf des Abends erfahre ich noch so manche Lebensgeschichte, höre von Arbeitslosigkeit, den Mühen der Selbständigkeit kleiner Unternehmen, von Insolvenzen, Scheidungen und von der großen Wut über die Preissteigerungen bei Sprit und Lebensmitteln – die Leute fühlen sich verarscht.
Hier am Tresen vernimmt man die Stimme des Volkes. Da kann man sich ein Bild machen, allerdings muss man trinkfest sein, sonst kriegt man nichts mehr mit. Das wär’ mal eine Aufgabe für die vielen, überflüssigen, parlamentarischen Staatssekretäre, oder können die alle nix vertragen?
Martin hat sich schon lange davongemacht. Für ihn sind solche Gespräche nichts, und gegen Mitternacht ziehe auch ich mich zurück und habe keine Mühe, sofort einzuschlafen.
D IE W ELT –
SO NAH UND DOCH SO WEIT
SAMSTAG, 31. MAI
HECHLINGEN A. SEE – HINTER GOSHEIM
(ÖSTL. NÖRDLINGER RIES), 30 KM
Traumlos verrinnt die Nacht. Ich glaube, ich wache in derselben Stellung auf, in der ich eingeschlafen bin, stehe aber nicht sofort auf, weil meine Stimmung mich nicht aus dem Bett treibt. Sie ist bedeckt, genauso wie der Himmel, der grau hinter dem Fenster steht. Das erste Mal verspüre ich eine gewisse Lustlosigkeit. Ich habe Sehnsucht nach meiner Frau, und mein Wanderbruder geht mir auf den Keks – ohne Grund.
Seit über einem Monat schlafen wir irgendwo in fremden Betten oder im Freien und latschen den ganzen Tag mit einem Haufen Gepäck auf dem Rücken durch die Gegend, Tag für Tag bis auf zwei Auszeiten, und sind immer nur zusammen. Eigentlich ist es kein Wunder, dass man dann irgendwann einen Rappel kriegt.
Das Wandern entlang des Albtraufs habe ich einfach satt. Seit zehn Tagen sind wir auf diesem Teil des Frankenweges unterwegs. Mir fehlen landschaftliche Highlights. Routine hat sich eingeschlichen. Jetzt einen Höhenweg durch die Alpen oder mit einem Floß über einen See, das wäre was. Eigentlich brauche ich eine Auszeit – aber eine Auszeit in der Auszeit, wie soll das gehen? Noch sind circa zwölf Tage inklusive eines Ruhetages zu laufen. Das sind gut 300 Kilometer – ’ne Menge Holz. An das Ende und den
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