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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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Abschied zu denken, ist eigentlich zu früh. Vielleicht ist es auch nur eine Laune am frühen Morgen. Dennoch meldet sich zum ersten Mal wieder die Grenze im Kopf, wie zu Beginn der Wanderung. Nur stehe ich diesmal auf der anderen Seite, und wenn ich sie zu früh überschreite, macht das Wandern keinen Sinn mehr.
    Ich krame mein Portemonnaie aus meiner Bauchtasche und betrachte das Foto von meiner Frau. Hübsch ist sie, immer noch. Was sie jetzt wohl macht? Ist sie gerade aufgestanden oder liegt sie noch im Bett – nackt und an mich denkend? Ich seufze und es schmerzt und das ist gut so. Anrufen will ich nicht, wer weiß, wer da im Bett liegt, ich mein’, in welcher Stimmung… und dann war all die Sehnsucht umsonst.
    Auf jetzt, Wolfgang, raus aus den Federn. Auch wenn die Gedanken sich nicht gleich verscheuchen lassen, jetzt musst du weiter, denn die Alpen rufen, und da willst du hin. Martin habe ich schließlich schon einen ganzen Monat ertragen, und es wird die paar Tage auch noch gehen. Wir sind ja gut miteinander ausgekommen, und es hilft, wenn man weiß, dass man hinterher seiner Wege geht.
    Es ist bewölkt, weder warm noch kalt – nicht Fisch und nicht Fleisch, wie die Landschaft um uns herum.
    Wir passieren den Hahnenkammsee. Er ist nach der Odertalsperre und dem Froschgrundsee erst das dritte größere Gewässer, auf das wir treffen. Bei einer Wegstrecke von bald 900 Kilometern ist das nicht gerade viel, und wir sind den Seen nicht ausgewichen. Alle drei sind zudem künstlich angelegt, entweder als Trinkwasserreservoir oder als Hochwasserrückhaltebecken, um die Wasserabflussmenge eines Flusses zu regulieren. Irgendwie sieht man ihnen ihre erzwungene Entstehung an. Der Übergang zum Festland wirkt unnatürlich, wie eine Fotomontage, nicht gewachsen und nicht organisch.
    Das kleine Rohrachtal führt uns nach Süden. Hinter dem See wird es schmaler, knapp hundert Meter steigen die grünen Hänge links und rechts des Baches an.
    Wir passieren Ursheim und wenig später Polsingen. Nichts Aufregendes. Meine Stimmung ist nach wie vor verhalten, und es fällt mir schwer, einen Rhythmus zu finden. Es gibt auch nichts, was mich ablenken oder aufmuntern könnte.
    An der Kirchmauer der evangelischen Kirche zu Polsingen ist Betrieb. Ein Dutzend Männer zwischen 30 und 80 Jahren machen sich an ihr zu schaffen. Die einen mit Hammer und Meißel und die anderen mit Presslufthämmern. Sie restaurieren die Mauer. Der gesamte Putz wird entfernt, erneuert und am Schluss geweißt. Jeden Samstag treffen sie sich hier für Gottes Lohn, so lange, bis alles fertig ist.
    Dass ein Kleingartenverein in ehrenamtlicher Arbeit sein Vereinshaus renoviert, ist wohl keine Seltenheit; aber dass die Evangelen das hinkriegen, überrascht mich und verdient meinen Respekt. Den Katholen hätte ich das eher zugetraut.
    Wir gönnen uns auf einer Grünfläche am Rande der Straße eine kleine Pause. Was wohl noch wird mit diesem Tag? Im Augenblick dient er lediglich dazu, um vorwärtszukommen. Ein paar Wanderer, die mit uns gingen, wären eine gute Abwechslung. Vielleicht treffen wir ja ein paar fröhliche, weltzugewandte Pilger auf dem Jakobsweg, der uns ab hier für die nächsten Tage führen wird. Es ist ja noch vormittags.
    Wir verlassen den Bach und wandern durch hügeliges Gelände in die südlichen Ausläufer der Fränkischen Alb. Der Himmel lockert ein wenig auf, hier und da kommt die Sonne durch und wirft einen Flickenteppich aus Licht und Schatten über das Land.
    Weiter geht’s, vorbei an Amerbach, dessen heller, bauchiger Turm mit dem dunklen Zwiebeldach das Dorf beherrscht. Seit über 700 Jahren steht er da, und man meint, es habe sich nichts geändert, so unberührt und stehengeblieben wirkt das Dörflein. Und als dann noch die Glocke schlägt und ein Hahn kräht, ist es, als sei man Jahrhunderte in jene Zeit zurückgereist.
    Hinter der Kuppe eines Hügels ragt die Wallfahrtskirche Maria Brünnle hervor. Beim Umwandern des Dorfes verlieren wir sie und die Orientierung aus den Augen.
    Ratlos blicken wir uns um. Ein Auto kommt den Hügel herauf, wir stoppen es. Der Fahrer weist uns den Weg, und auf der nächsten Anhöhe liegt sie dann vor uns, einsam und erhaben, die Wallfahrtskirche Maria Brünnle. Wie ein Magnet zieht sie die Blicke auf sich.
    Auf dem Kirchplatz ist der Teufel los. Heerscharen von Pilgern strömen auf die Kirche zu, wir mittenmang.
    Im Innern empfängt uns ein lichter, hell getünchter Raum mit unzähligen Ornamenten,

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