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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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Schnitzereien, kunstvollen Altären und pastellfarbenen Gemälden an den hohen Kuppelwölbungen. Ich bin beeindruckt und lasse mich auf einer Bank nieder. Doch mit der Ruhe ist es nicht weit her. Eine Schulklasse stürmt die Kirche und vertreibt die Stille, die bis dahin den Raum füllte. Vergeblich mahnt die Stimme des Lehrers und erhebt sich dabei über das Stimmengwirr, so dass der Lärm nur noch schlimmer wird.
    Der Frieden ist dahin, und wir treten den Rückzug an. Schade eigentlich – irgendwie mag ich das Sitzen in solchen Kirchen.
    Wir landen im Biergarten, der zu einem Restaurant innerhalb der Kirchenanlagen gehört. Unter schattenspendenden Platanen laden breite, rustikale Bänke an ausladenden Tischen zum Biertrinken ein. Da können wir nicht widerstehen, schließlich wird hier Pilgerbier angeboten, und das ist uns schon einmal gut bekommen. Dazu eine herrliche Gulaschsuppe und ein entspannender Blick in die Ebene von Wemding.
    Unterhalb des Terrassengartens liegt ein Parkplatz voller PKWs und Busse. Gerade verlässt einer, vollgestopft mit Senioren, das Gelände, passiert einen entgegenkommenden, aus dem wenig später Unmengen von Kindern quellen. Ihr fröhlicher, unbekümmerter Lärm ist so weltlich wie das Bier, das wir trinken. Die Mädchen stehen in Cliquen beisammen, während die Jungs über den Platz rennen. Irgendeiner hat einen Ball dabei, und schon knallt die Kugel gegen die Wand eines Gebäudes und wenig später gegen die Windschutzscheibe eines parkenden Autos. Die donnernde Stimme eines Lehrers schafft einigermaßen Ordnung, und dann geht es ab Richtung Kirche. Die nächste Schulklasse, die sich über sie hermachen wird. Mich wundert bloß, wo an einem Samstag die ganzen Schüler herkommen.
    Die Mittagspause entspannt mich. Die Welt hat wieder farbige Tupfer, und gegen drei verlasse ich mit meinem Wanderbruder, zwar nicht in Hochstimmung, aber doch allem gegenüber gnädiger gestimmt, das Lokal.
    An Martin kann ich solche Stimmungsschwankungen selten ausmachen, es sei denn, er hat Hunger. Eigentlich ruht er in sich, bis auf die Zornesausbrüche, wenn ihn irgendetwas nervt. Wenn die Welt ihn in Ruhe lässt und er sein Ding machen kann, dann lässt auch er die Welt in Ruhe und lebt in seinem eigenen, geheimnisvollen Universum, an dem es schwer ist teilzuhaben. So ist er nun mal, und so anders bin ich. Wir sind zwar zusammen unterwegs, aber oft nicht beieinander, weil wir die Dinge so unterschiedlich sehen und so verschieden bewerten. Erstaunlich, dass wir miteinander zurechtkommen – aber vielleicht auch deswegen.
    Nicht lange, und wir laufen in Wemding, der Stadt der Fuchsien ein. Die Gassen und der Marktplatz sind voller Stände und Menschen. Musik erschallt. Man begegnet Gauklern, Harlekinen und Maskierten, die auf hohen Stelzen in prächtigen Kostümen daherschreiten. Blumen, Kräuter, Saatgut, Käse, Wein, Brot, Wurst, Schinken und noch tausend Dinge mehr werden angeboten. Es ist Kräutermarkt, und er zieht uns magisch in seinen Bann. Der einzige Wermutstropfen ist, dass wir nicht wissen, wo wir unsere Rucksäcke lassen sollen. Die müssen wir mitschleppen, während wir den Markt inspizieren.
    Fuchsien sind neben der eindrucksvollen Architektur das Aushängeschild von Wemding. Man findet sie hier häufiger als anderswo, und auch auf dem Markt werden sie in unzähligen, farbenprächtigen Variationen angeboten. Das hat einen Grund: Sie erinnern mit ihrem Namen an einen der großen Söhne der Stadt, den Botaniker Leonhart Fuchs (1501-1566), der einst durch seine Kräuterbücher berühmt wurde. Die Fuchsie kannte er gar nicht. Sie wurde erst 130 Jahre nach seinem Tod von Charles Plumier in Südamerika entdeckt und von diesem mit seinem Namen geehrt.
    Hier ist das Leben bunt und prall. Ich habe es schon fast vergessen. So einem fröhlichen Treiben sind wir seit Wochen nicht mehr begegnet. Die vielen Tage der Stille und Einsamkeit haben mich doch geprägt und sensibel gemacht für die leisen Töne in jenem großen, weiten Raum, der von der Natur beherrscht wird und in dem wir uns meistens aufhalten und dessen sanftes, lautloses Schwingen man nur in der allergrößten Ruhe vernimmt.
    Ich bin begeistert und irritiert zugleich. Es wird gelacht, geschäkert, gehandelt und fränkischer Wein verköstigt. Es duftet nach Blumen und Kräutern, frisch Gebackenem, Gegrilltem, nach kräftigem Käse – nach Leben. Traurige Mienen sieht man auch, aber sie gehen unter in der Leichtigkeit, die die Atmosphäre

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