Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
dieses Marktages bestimmt.
All das wird umrahmt von den herausgeputzten Fassaden alter fränkischer Bürgerhäuser mit ihren ausladenden, gestuften oder geschwungenen Giebeln und überragt von einem mächtigen Kirchenschiff mit zwei wuchtigen Türmen im Zentrum des Geschehens. Es ist ein Genuss, dabei und mittendrin zu sein.
Wir kaufen Käse, Wurst und frisches Brot und begeben uns dann auf die Suche nach dem passenden Wein. Die Weinstände werden belagert wie bei uns die Glühweinbuden in der Vorweihnachtszeit. Da ist kein rechtes Durchkommen und schon gar nicht der Raum, um sich in Ruhe einen guten Tropfen auszusuchen.
Wir entfernen uns langsam vom Zentrum, der Trubel nimmt ab, die Verkaufsstände allerdings auch. Kurz vor einem Stadttor werden wir dann doch noch fündig. Eine Bretterbude, seitlich davor ein Tisch, drum herum zwei Männer und Frauen in bester Stimmung.
„Hallo Jungs, wohin des Weges!“, ruft uns eine der Frauen zu.
„Zur Weinbude, Wein kaufen!“
„Und dann?“
„Gehen wir in den Wald und trinken die Flaschen aus!“
„Genau!“, grölt jemand, „und nebenan sitzt Rotkäppchen und spielt mit dem Weihnachtsmann Karten!“
Schallendes Gelächter.
„Das stimmt tatsächlich“, fahre ich fort. „Wir kaufen jetzt jeder eine Flasche Wein, und dann suchen wir uns ein paar Kilometer hinter Wemding im Freien eine passende Stelle, essen zu Abend, trinken den Wein und schlafen ein.“
„Und dann?“
„Geht’s morgen weiter Richtung Alpen.“
„Gibt’s das? Wo kommt ihr denn her?“
„Aus Hamburg. Wir sind vor 32 Tagen gestartet.“
„Na denn, Prost, auf eure Wanderung. Kommt, holt euch zwei Gläser.“
Wir wollen eh probieren, also nehmen wir auf Empfehlung des Händlers erst einmal ein Gläschen Dornfelder Franken und stoßen an.
„Ihr linker Schuh ist auf!“, spricht mich eine der Damen an.
„Oh, halten Sie mal!“, antworte ich und drücke ihr meine Wanderstöcke in die Hände.
„Joi, joi, joi, das ist aber eine Ehre! Jetzt darf ich mir die Hände ja gar nicht mehr waschen!“
Wir scherzen und witzeln miteinander. Auch mein Wanderbruder ist dabei. Es macht einfach Spaß und den Herrschaften am Tisch, insbesondere den beiden Frauen, ebenso. Wir holen uns noch einen Spätburgunder Franken und genießen die unbeschwerte Atmosphäre.
„Gleich alt seid ihr aber nicht. Du“, und eine der Frauen zeigt auf mich, „bist doch bestimmt zehn Jahre älter.“
„Ja, Wolfgang wird Weihnachten 60!“, trötet Martin.
„Und ihn muss ich zwischendurch immer noch wickeln“, gebe ich giftig zurück.
Muss der jetzt mein Alter verraten, und wieso sehe ich zehn Jahre älter aus, obwohl‘s ja stimmt!? Eitel war ich immer schon. Aber 60 klingt einfach alt. Das habe ich vor 30 Jahren schon gedacht, und das denke ich heute immer noch.
„Da sehen Sie aber jünger aus“, das käme jetzt gut, kommt aber nicht.
Das sind bestimmt die Strapazen der wochenlangen Tour, die sich in mein Gesicht eingegraben haben. Muss mich echt mal wieder rasieren!
So geht die Zeit dahin. Ich genieße diese leicht erotische Spannung, die sich in ganz alltäglichen Situationen zwischen Mann und Frau während eines Gespräches aufbauen kann, ohne je offenkundig sexuell zu sein, und sich an Blicken, Zuwendungen, eben der gesamten Körpersprache festmacht. Ich spüre, wir sind den Damen eine willkommene Abwechslung, und ich lasse sie merken, dass mir ihre Gegenwart nicht egal ist. Mit den Männern rede ich natürlich auch, aber anders und nicht so aufmerksam.
Wir müssen uns verabschieden. Es ist halb sechs, und wir haben noch keinen Schlafplatz. Je eine Flasche von den getesteten Weinen nehmen wir mit und machen uns unter großem Hallo auf den Weg.
„Mein lieber Martin, wenn du noch einmal mein Alter verraten solltest, dann gib doch das tatsächliche Alter an. Ich bin 59 – ich war es gestern, bin es heute, und werde es auch morgen und übermorgen sein und überhaupt – ab jetzt für dich bis in alle Ewigkeit!“
„Ja, Wolfgang“, antwortet Martin schuldbewusst.
Wieder im Wald kommt mir der Nachmittag wie ein Spuk vor, wie ein Traum, aus dem ich gerade erwacht bin. Es ist, wie ich neulich Abend gedacht habe: Ich bin nicht hier, ich bin nicht dort, bin gleich immer wieder fort!
Ein seltsamer Frieden geht von diesem Gleiten durch Raum und Zeit aus. Einem Gleiten, das keine Bindung zulässt, einem alles, was man gerade erlebt, schon im nächsten Moment wieder entreißt. Es ist wie das Schauen in
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