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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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später überschreiten wir die bayerische Grenze und befinden uns in Oberfranken. Knapp Zweidrittel unserer Wanderstrecke liegen noch vor uns, aber Bayern werden wir nicht mehr verlassen.
    Die Bazis habe ich nicht in guter Erinnerung. Auf einer Fahrradtour von Lüneburg nach München, vor 14 Jahren, habe ich sie in ihrer ganzen Sturheit kennengelernt, an einem Abend, als mir die Aufgabe zufiel, in einem Gasthof kurz hinter der Donau nach einem Nachtquartier zu fragen. 120 Kilometer hatten wir bereits zurückgelegt, und es gab nur diesen einen Gasthof in dem winzigen Dorf. Bierdunst, Tabakrauch und Stimmengewirr schlugen mir entgegen, als ich den Gastraum betrat. Gestandene Männer hockten an den Tischen, stemmten schwere Krüge und unterhielten sich lautstark in tiefstem Bayerisch, unterbrochen von dröhnendem Gelächter und der Order nach weiteren Bieren. Ich sprach den nächststehenden Kellner an, doch der zuckte nur mit den Schultern und murmelte irgendetwas in einem unverständlichen Dialekt. Neugierige Blicke richteten sich auf mich und musterten den Fremden, der hier wagte, hochdeutsch zu reden. Ich fühlte mich preußisch und nicht willkommen. Hilflos schaute ich mich um. Es kostete mich Überwindung, auf die Männer an einem der Tische zuzutreten und sie anzusprechen. Keiner gab sich Mühe, sich mit mir zu verständigen. Die ließen mich einfach auflaufen.
    „Leute, ich würd’ euch in Norddeutschland doch auch nicht auf Platt antworten. Wir wollen doch nur ein Bett für die Nacht“, versuchte ich den Bann zu brechen, erntete aber nur Gelächter. Hier war nichts zu machen. Die gaben mir keine Chance.
    „Scheißbayern“, entfuhr es mir und verließ unter höhnischem Lachen wütend und gedemütigt das Lokal.
    Erst nach weiteren eineinhalb Stunden erreichten wir im Dunklen die Kreisstadt und konnten im allerletzten Moment noch einchecken.
    Nun denn, Martin und ich sind jetzt zwar in Bayern und doch wieder nicht. Die Franken legen Wert auf ihren eigenen Status, und das lässt hoffen.
    Über die Wipfel der Bäume ragen zwei mächtige Pfeiler in den Himmel, und als wir näher kommen, entdecken wir weitere – in gerader Linie dahinter stehend. Wir befinden uns an der gewaltigen Baustelle am Froschgrundsee, von der der Eismann in Schalkau sprach.
    Vom Fuße der beiden zum Wasser jeweils nächststehenden Pfeiler recken sich wie überdimensionale Fühler zwei Bögen aufeinander zu, gehalten von armdicken Trossen, die an den Pfeilern befestigt sind. Diese wiederum werden von schweren Seilen gehalten, die man im Boden mit Stahlplatten verankert hat. Noch klafft eine Lücke von etwa 150 Metern zwischen den beiden Teilbögen, und es kommt einer technischen Meisterleistung gleich, wenn diese dann punktgenau aufeinandertreffen. Am Ende führt über die Pfeiler und dem geschlossenen Bogen eine Schienentrasse, über die der ICE mit 300 Kilometern pro Stunde rast und Erfurt mit Nürnberg verbindet. Die Bogenspannweite wird 270 Meter betragen, und mit insgesamt 798 Metern Länge und 65 Metern Höhe wird die Talbrücke Froschgrundsee die längste Bogenbrücke Europas sein. Die Dimensionen des Bauwerks sind wahrlich beeindruckend.
    Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll. Das Landschaftsbild ist an dieser Stelle für immer zerstört. Einerseits ist Deutschland eine bedeutende Industrienation, die Verkehrswege, vor allem schnelle Verbindungen braucht. Andererseits frage ich mich, wie viel Infrastruktur wirklich nötig ist, wie viel Naturfläche man noch versiegeln und wie viel Landschaft zerstören will, um den Wettbewerb zu sichern und die Zeit derart zu beschleunigen, dass man sich irgendwann nahezu in Echtzeit von einem Ort zum anderen bewegen kann. Ein Ende ist da nicht abzusehen. Deutschland ist ein Autoland, sowohl die Produktion, als auch die Verkehrsdichte betreffend. Der Export unserer Produkte verlangt schnelle Zugänge zu Häfen und Flugplätzen in immer größerer Anzahl, und die verstopften und immer wieder verbreiterten und dann wieder verstopften Straßen fordern neue Schienennetze, neue Kanäle und so weiter und so fort.
    Es gibt sie, die unberührten, herrlichen Landschaften in Deutschland – aber nur als vergleichsweise kleine Inseln innerhalb der großen, von der Landwirtschaft, der Industrie, den Verkehrsverbindungen und der Besiedlung geprägten Fläche unseres Landes. Wenn man Deutschland zu Fuß durchmisst, wird einem dies schmerzhaft vor Augen geführt, und an manchen Orten fragt man sich,

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