Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns
meinem Hintern hocke ich in einer Pfütze. Ich schiebe mir den Poncho unter und stelle den Fuß auf den Biwaksack. Damit mache ich alles nur noch schlimmer. Das Regenwasser, das sich in den Vertiefungen des welligen Ponchos gesammelt hat, ergießt sich auf die Matte und durch Lücken im Regenumhang über meine Unterschenkel.
Nach einer halben Stunde ist der Spuk Gott sei Dank vorbei, aber die Nässe und die Schwüle bleiben. Die Erde dampft, die Mücken befinden sich im Blutrausch, Blitze entladen sich über dem Thüringer Wald, doch der Donner folgt erheblich später – das Gewitter hat sich ins Gebirge zurückgezogen.
Mein Wanderbruder pellt sich aus dem Regenschutz. Jetzt werden erst mal der Wein geöffnet und Brot und Käse ausgepackt. Der Stimmung hat das kurze Unwetter keinen Abbruch getan, machen können wir eh nix. Wir genießen unser Abendbrot, stoßen miteinander an und fühlen uns wie wahre Abenteurer, die gerade erfolgreich den Naturgewalten getrotzt haben. Die Nässe kümmert uns nicht.
Trotz mancher Widrigkeiten sind diese Abende mit das Großartigste, was wir bisher erlebt haben, und das empfinden wir beide. Normalerweise würde sich nach so einem heftigen Unwetter kein Mensch ohne Zelt irgendwo in freier Natur ablegen, und auch ich konnte mir das vor gut zwei Wochen nicht im Ansatz vorstellen. Nun aber sitze ich hier, habe das Wasser aus Matte und Schlafsacküberzug geschlagen und freue mich über den Blick, der auf den nahen Bach und über Wiesenmatten bis hin zu den Hängen des Thüringer Waldes fällt. Das gemeinsame Erlebnis schweißt uns zusammen, und die besondere Atmosphäre macht sanft und zugänglich.
Eingezwängt in den engen, vom Biwaksack umhüllten Schlafsack, mit klammen Gliedern auf einer klitschnassen Unterlegmatte liegend, um mich herum dampfende Feuchtigkeit und das nervige Summen der Mücken, so warte ich auf den Schlaf. Martin schnarcht schon lange, während ich mich hin und her wälze und der Pissdruck sich langsam aufbaut. Seufzend und mit großer Überwindung quäle ich mich aus dem Schlafsack, stelle mich auf ihn und pinkele neben mein Bett. Hat ja auch was, zu Hause könnte ich mir das nicht erlauben.
Wieder liegend, betrachte ich ein wunderschönes Farbenspiel am Himmel über mir. Die riesige Unwetterwolke hat sich nur wenig zurückgezogen, wird von der untergehenden Sonne an ihrer gewaltigen, abgeregneten Front in ein rosa Tuch gehüllt. Darunter streckt sich der pechschwarze Rumpf der Wolke bis an die Bergrücken. So ragt sie in den kobaltblauen Abendhimmel hinein, und an ihrer Spitze lösen sich leuchtende, weißrosa Wölkchen, die wie Schaumkronen über das dunkle Himmelsmeer treiben.
In der Nacht erwache ich fröstelnd mit heftigsten Rückenschmerzen, weiß überhaupt nicht, wie ich liegen soll – weder auf der Seite noch auf dem Rücken, ob mit angezogenen oder ausgestreckten Beinen, und kalt ist mir auch. Meine Fresse, irgendwie muss ich doch schlafen können! Schließlich ziehe ich widerwillig den Rucksack an mich heran, hocke mich hin, fummle meine kleine Ersatztaschenlampe aus der bis an das Fußende des Schlafsacks gerutschten Bauchtasche, wühle aus dem Rucksack meine Weste und aus dem Medikamentenbeutel eine Ibuprofen 800. Die muss dann wohl irgendwann gewirkt und mir den ersehnten Schlaf geschenkt haben.
Ist die Nacht auch noch so düster, kalt und feucht,
Irgendwann bist du dieser Welt entfleucht,
Schläfst tief, verweilst in Träumen,
Weißt nicht, wo du dich abgelegt.
S CHNEEWITTCHEN
DONNERSTAG, 15. MAI
HINTER SCHALKAU – COBURG (OBERFRANKEN), 23 KM
„Guten Morgen“, flötet mir Martin zu, als ich mit steifen Gliedern und Kopfschmerzen erwache und ihn anblinzele.
Um mich herum ist alles feucht. Die Unterlegmatte und das Kopfkissen haben sich mit Wasser vollgesogen, der Biwaksack glänzt vor Nässe, selbst der Schlafsack ist von innen klamm. Schneckenschleim zieht sich in langen Streifen über die Kapuze, das Kopfkissen und über die Biwakhülle. Schnecken kleben am Anorak, der Isomatte und den Wanderstöckern. Die Sonne spendet nur für einen kurzen Moment Wärme und verschwindet dann hinter einem Wald, der wenige Meter neben uns beginnt. Wir packen alles ein, wie es ist, und verschwinden so schnell wie möglich von diesem unwirtlichen Fleck. Der Rucksack hängt bleischwer auf meinen steifen Schultern, wie ein Sack voller Steine. Gerädert von der Nacht stapfe ich in den Tag hinein und denke erst mal nur bis zum Frühstück.
Eine Stunde
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