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Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
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Ein letzter, anstrengender Anstieg und wir erreichen seine Hochfläche, stehen am Rande schroff abfallender Klippen unter einem schweren, tiefen Himmel, aus dem es zu regnen beginnt. Zum ersten Mal werfen wir uns die Regenponchos über. Sie sind wadenlang und haben am Rücken eine Ausbuchtung für den Rucksack. Nach meinen Erfahrungen ist das der beste Schutz bei schwerem Wetter, wenn es stundenlang wie aus Kübeln regnet. Man schwitzt nicht, da sie luftig über dem Körper hängen, und sie sind absolut wasserdicht. All das teure Zeug mit Goretex-Membrane und verschweißten Reißverschlüssen und Nähten hält nicht, was es verspricht. Irgendwann findet der Regen seinen Weg ins Innere, oder durch die Anstrengung des Wanderns schwitzt man dermaßen unter dem synthetischen Material, dass man ebenso gut ohne Schutz durch den Regen laufen kann. Nur einen Makel haben die sogenannten Pelerinen: Sie sind nicht kleidsam. Wenn der Wind sie aufbläht, dann sieht man aus wie der fette Bruder des Glöckners von Notre Dame und mit Kapuze wie ein buckliger Wichtelzwerg.
    Schon bald scheint die Sonne wieder. Ein aufkommender Wind treibt die Wolken vor sich her, und das abziehende dunkle Wolkenfeld mit seinen fahlen, gelben Rändern türmt sich am Horizont zu einem gewaltigen Gebirge auf. Die Aussicht ist herrlich. Weit geht der Blick über Felder, Hügel und Dörfer – hinüber zum Thüringer Wald und nach Westen zum Naturpark Hassberge.
    Gemächlich und entspannt wandern wir über das Plateau, beobachten zwei Männer beim Klettern in den karstigen Kalksteinwänden, statten der kleinen Kapelle einen Besuch ab und wenden uns dann gen Süden der Fränkischen Alb zu, an deren westlicher Abbruchkante uns der Frankenweg die nächsten zwei Wochen etwa 400 Kilometer entlangführen wird. Ein schmaler Pfad führt den Berg hinab. Wilde Akeleien leuchten in allen Schattierungen – von Rosa über Lila bis hin zum Rot. Die Luft vibriert vom Zirpen abertausender Grillen und flimmert unter der brennenden Sonne über den glänzenden, regennassen Wiesen. Es ist Sommer, und sein feuchtschwüler Schoß umfängt uns.
    Am Fuße des Staffelberges liegt Loffeld – ein kleiner, fränkischer Ort. Mitten hindurch führt ein Bach. Seine Ufer säumen blühende Rotdornbäume, und dahinter leuchten die weißen Blütenkerzen der Kastanien. Kein Mensch ist unterwegs, wie so oft in den Dörfern und kleinen Städtchen, die wir auf unserem Weg streifen. Aus der geöffneten Tür eines Gasthofes dringen Musik und das Stimmengewirr einer Gesellschaft. Schräg gegenüber befindet sich eine Brauerei. Vor dem Gasthof, dicht an der Wand, stehen zwei Tische mit Bänken, wie geschaffen für uns und unsere große Mittagspause. Gemütlich und ländlich ist es, so wie man sich einen fränkischen Flecken vorstellt. Es gibt Bockbier vom Fass. Martin entfährt ein Juchzer, und ich bin auch nicht abgeneigt, einen halben Liter zu stemmen und dazu eine Knoblauchsuppe mit selbstgebackenem Brot zu löffeln. Herrje, ist das Leben schön!
    Ich könnte mich hier in Ruhe und mit Anstand betrinken, den Nachmittag verquatschen und einfach nur sein. Manchmal hat dieses langsame Versacken etwas wunderbar Entspannendes. Man schießt sich aus der Zeit, aber am Ende auch ab. Man weiß ja, wie das abläuft: Einer geht noch rein, und zum Schluss ist die Birne dermaßen vom Bock vernebelt, dass man hier sicher nicht mehr mit Anstand sitzt, sondern früher oder später, wenn’s gut geht, nach Hause torkelt. Doch wir beide haben noch nicht einmal einen Schlafplatz, und irgendwo komatös in die Wiesen sinken wollen wir nicht. Also belassen wir es dabei. Beschließen aber, heute den Tag des Bieres zu begehen und dafür den Abend zu nutzen – einen Nothelfertrunk und ein Loffelder Bock haben wir ja schon intus.
    Gerade haben wir das Dorf verlassen und wollen in den Wald hinein, als wir Gesang hören. Verdutzt bleiben wir stehen, und im selben Moment treten drei Menschen zwischen den Bäumen hervor. Sie sind verkleidet wie zu einem mittelalterlichen Spektakel. Der Älteste, ein Mann, trägt einen Hirtenumhang und einen Spitzhut, die Frau ein langes, schlichtes, braunes Kleid und einen Kranz um den Kopf und der Dritte ein Büßergewand und einen Bischofsstab in der rechten Hand. Sie lassen sich nicht beirren und kommen singend auf uns zu, hören erst auf, als die Strophe beendet ist. Ihr Blick ist verschleiert, voller katholischer Innigkeit, und mit frömmelnder Vertrautheit werden wir dann auch

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