Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns

Titel: Vom Wispern der Waelder und vom Wesen des Wanderns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Luehrs
Vom Netzwerk:
eindrucksvoll die Wallfahrtskirche Vierzehn Heiligen und dahinter, auf der gegenüberliegenden Höhe jenseits des Maines, sieht man Kloster Banz, eine Benediktinerabtei aus dem 11. Jahrhundert. Im Tal einige Dörfer, der Fluss, eine Autobahn und eine Eisenbahnstrecke.
    Schon bald erreichen wir die Zufahrtsstraße zur Basilika und stehen schließlich vor der gewaltigen Kirche, die mit ihrem hellen Sandstein unter dem blauen Himmel so leicht und luftig wirkt wie ein mediterranes Schloss. Sie liegt an einem der vielen deutschen Jakobswege. Vor über 500 Jahren hatte hier ein Schäfer eine Erleuchtung, die den Grundstein für eine der bedeutendsten Wallfahrtskirchen Bayerns legte.
    Ihr Inneres verziert eine eindrucksvolle, barocke Ausstattung, die in dem lichtdurchfluteten Kirchenschiff mit seinen hellen Wänden und Marmorsäulen ungeheuer plastisch wirkt. Die oft düstere und bedrückende Atmosphäre vieler anderer Kirchen ist hier einer verspielten Heiterkeit gewichen, und man kann sich nicht satt sehen an den Skulpturen, Gemälden und der pastellenen Farbigkeit der Ornamente. Diese herrliche Basilika passt zu unserer guten Laune. Beschwingt verlassen wir sie und mischen uns unter den Trubel der vielen Touristen und Pilger.
    Ein zu den Anlagen der Wallfahrtskirche gehörendes Wirtshaus zieht uns magisch an. Ein Nothelfertrunk wird hier ausgeschenkt, und den müssen wir auf jeden Fall kosten. Er ist ja wie für uns gemacht. Wer so viel gelaufen ist und dabei auch noch so gelitten hat, der ist bedürftig und hat Not. Auf jeden Fall wollen wir mit dem Trunk den Schutz der 14 Nothelfer erbitten, denn dies ist die Bestimmung dieses Wallfahrtsortes. Köstlich mundet das frische Schwarzbier zusammen mit einer Brezel und etwas Butter.
    So sitzen wir unbeschwert im Biergarten im Angesicht der Basilika und genießen das Leben. Wenn Gott auf uns schaut, dann wird er gewiss seine helle Freude an zwei so fröhlichen Gesellen haben.
    Leicht und froh ums Herz brechen wir auf zum Staffelberg, dem Berg der Franken. Was ist das eine feine Wanderung heute, mit so viel guter Laune unterwegs in einer herrlichen, lieblichen Landschaft. Sanft ansteigend windet sich der Weg durch grüne Felder und saftige Wiesen, durch lichte Haine und dichtes Buschwerk.
    Doch vor uns beginnt sich der Himmel zu verdunkeln. Schwere, blauschwarze Wolken schieben sich übereinander und türmen sich zu gewaltigen Haufen über dem hellen Grün der jungen Kornfelder, die um so lichter und leuchtender wirken, je dichter und schwärzer der Himmel sich zuzieht. Am Wegesrand liegt eine fette, riesige Kreuzotter und wärmt sich in der Sonne. So dick wie mein Oberarm und einen knappen Meter lang ist sie – ich habe eine so große Schlange noch nie in freier Wildbahn gesehen. Sie rührt sich nicht vom Fleck, als wir näher treten. Wahrscheinlich hat sie sich gerade den Pansen vollgeschlagen und ist träge. Nur den Kopf hält sie starr aufrecht und hat ein Auge auf uns gerichtet.
    Ein paar schwere Tropfen treffen uns. Martin will Vorsorge treffen und legt seine knielangen Gamaschen an, die bis an den unteren Rand der Hosenbeine seiner Wandershorts reichen. Über dem kurzärmeligen, beigen Hemd trägt er eine schwarze Weste und auf dem Kopf einen Südwester, eine Schirmmütze mit einem Tuch als Nackenschutz.
    Als er sich wieder aufrichtet und vor dieser hinter ihm sich auftürmenden, schwarzen Wolkenwand steht, kerzengerade, den Bauch vorgewölbt, angestrahlt von der Sonne, die hinter einer Wolke hervorbricht, habe ich eine Vision – die Vision vom Gamaschenmann.
    So wie er dort vor mir steht mit einem Rucksack wie einem Antriebsaggregat, wird er gleich abheben, die Stöcker wie Laserlanzen nach vorn gerichtet, als Waffe gegen alles, was sich ihm in den Weg stellt. Schon sehe ich ihn einen halben Meter senkrecht über dem Boden schweben und dann – mit einem plötzlichen Schub – davonschießen, schnell kleiner werdend, bis ihn das Dunkel der Wolken verschlingt.

    Siehst du den Gamaschenmann,
Dort mit den dunklen Wolken treibt er heran.
Grollend und blitzend im schwarzen Gewand
Fegt er über Dörfer, Städte und Land.

    In seinen Augen lodert der Wahn,
Mit ihm der Tod, sein ew’ger Kumpan.
Verderben bringt er mit jähem Schlag und gleißendem Licht,
Schnell, weiche und stelle dich nicht.

    Nun ist es vorbei – in der Ferne Klagen,
Siehst du dort hinten die Flammen schlagen?
Hörst du, wie die Sirene heult?
Es war der Gamaschenmann, der sich ein Opfer geholt.
    Einst

Weitere Kostenlose Bücher